Süße Teilchen: Roman (German Edition)
möglicherweise bitterer Schokolade und gerösteten Mandeln und – wo ist eigentlich James?
Ich drehe mich nach ihm um und erkenne ihn weit hinter mir. Er steht da und krümmt sich. Ich wende das Rad und rase zurück.
James’ Gesicht ist dunkelrot, er ringt nach Atem und ist schweißgebadet.
»Was hast du?«, frage ich erschrocken und lege ihm eine Hand auf den Rücken. Wir haben es übertrieben, schießt es mir durch den Kopf. Zwei Tage lang haben wir nur getrunken und gegessen. Und James ist nicht mehr der Jüngste, auch wenn er sich gelegentlich wie ein Teenager benimmt. Außerdem ist er nicht so fit, wie er denkt, es muss ihm einfach zu viel geworden sein.
»Mir fehlt nichts«, winkt James ab. »Fahr weiter, ich komme nach.«
Ich betaste seine Kehle und spüre, dass sein Puls rast.
»O nein, wir kehren sofort um. Du brauchst Wasser und eine kühle Dusche. Zum Laufen ist es viel zu heiß.«
»Mir geht es gut.«
»Aber mir nicht, mir ist es zu warm. Außerdem kann ich die Haustür nicht allein öffnen.« Was nicht stimmt, das wissen wir beide. »Und der Sattel ist zu hart, ich habe schon überall blaue Flecken.«
»Die küsse ich wieder heil«, sagt James und grinst. »Ich kenne ein paar schöne Doktorspiele.«
»Du brauchst eine Notoperation, um die Witzmaschine aus deinem Kopf zu entfernen.« Ich lege einen Arm um seine Taille und führe ihn, mit der anderen Hand das Fahrrad schiebend, zurück zum Haus.
Als wir angekommen sind, zwinge ich ihn, einen Liter Wasser zu trinken und sich still hinzusetzen. »Danke«, sagt er. »Du bist so nett.« So nett bin ich eigentlich gar nicht, aber einem Freund steht man doch wohl bei und erst recht einem Mann, den man liebt.
Nach einer Weile hat sich seine Gesichtsfarbe wieder normalisiert. Wir ziehen uns an, um essen zu gehen. Dabei spüre ich James’ Blick auf mir. Ich muss an seinen »Anfall« neulich denken, doch dann reiße ich mich zusammen. Zwischen uns läuft es wunderbar. In unserer Seifenblase bin nicht nur ich, er ist bei mir, wir sind ein Paar.
Auf dem Weg zum Restaurant ist James bester Dinge. Auf dem Marktplatz des Nachbardorfes wird ein Sommerfest gefeiert, und James besteht darauf, dass wir vor dem Essen noch ein wenig unter den bunten Lichterketten tanzen. Danach fordert James nacheinander einige der alten Damen zum Tanzen auf, die in Kittelkleidern und bequemen Sandalen gekommen sind. Ich sehe zu, wie er sich mit einer zu einem Song von Aretha Franklin dreht, mit der anderen zu einem französischen Lied über Carcassone und mit der Dritten zu Neil Diamond. Ich setze mich am Rand der Tanzfläche auf eine niedrige Steinmauer, denke daran, wie charmant er ist, wie sicher er mit anderen Menschen umgeht, wie wohl er sich in seiner Haut fühlt. Wenn er doch nur nicht so viel Geld hätte, denn das trennt uns, in dem Punkt ist der Unterschied zwischen uns einfach zu groß. Aber wenn er sein ganzes Geld verlöre, würde ich morgen eine voreheliche Vereinbarung unterschreiben und bei ihm bleiben, denn ich weiß, wer er wirklich ist, und liebe diesen Menschen. Dann denke ich an sein Alter und daran, dass ich in einer idealen Welt mit jemandem Kinder bekommen würde, der noch unter vierzig ist, aber das spielt keine Rolle, denn James ist vital, leidenschaftlich und lebenslustig.
Wir essen in einem winzigen Restaurant am Fluss. James bestellt eine Flasche Rotwein aus der Gegend, die kaum etwas kostet, doch der Wein schmeckt phantastisch.
»Lecker«, sagt James. »Was hältst du von Foie gras und Lamm?« Er nimmt sich einen knusprigen Kanten Weißbrot aus dem Korb.
»Ich weiß nicht, James. Denk an morgen.« Und an das, was vorhin passiert ist.
»Hör auf, dir Sorgen zu machen.«
»Na gut. Ich nehme den Feigensalat und die Ente in Blätterteig. Klingt doch verlockend, oder?« Ich erinnere mich an den Blätterteig, den er mir aus Paris mitgebracht hat, daran, wie wir uns im Glitzerraum der Tate geliebt haben.
»Ich nehme auch den Blätterteig.«
»Aber das geht nicht. Wir können nicht beide das Gleiche bestellen, das ist nicht erlaubt.« Plötzlich kommt meine Selbstsucht zum Vorschein – ich möchte, dass er etwas anderes isst, von dem ich dann kosten kann.
»Warum denn nicht, es gibt doch unterschiedliche Soßen dazu. Mit Pfeffer oder Roquefort oder Honig.«
»Ich nehme die mit Honig.«
»Und ich die mit Roquefort. Bist du jetzt zufrieden? Und wir brauchen noch eine Flasche Minervois.«
James wird also Foie gras essen und dann Ente in
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