Suesser Als Blut
einen langen Schnitt in meinen Unterarm. Blut sickerte hell hervor und tropfte auf den Boden.
Es war genauso wie damals, als ich vier Jahre alt gewesen war. Nur war damals eine Drachenträne auf dem Messergriff gewesen, bernsteingelb, so wie meine Sidhe-Augen. Er hatte mein Blut mit dem Einverständnis meines Vaters genommen, hatte es stellvertretend für seinen Meister, meinen künftigen Herrn, gekostet.
Wie damals, so stand ich auch jetzt wie erstarrt da, konnte mich nicht bewegen.
Malik senkte den Kopf und leckte das Blut auf, den ganzen langen Schnitt entlang, der sich über meinen Unterarm zog. Dann schaute er mich an. In seinen Pupillen glühte es rot auf. »Wie konnte ich ihn weiter Meister nennen, wo ich das begehrte, was ihm gehörte?« Er gab mir einen Kuss auf die Lippen, und ich schmeckte mein eigenes Blut. Was ich für mich selbst haben wollte , sprach er in meinen Gedanken.
Hoffnung keimte in mir auf und Wärme, Erregung.
Er brach den Kuss ab.
Und ich stellte meine Frage. »Warum hast du Melissa umgebracht?«
Er verzog keine Miene. »Sie hatte die Hexe aufgespürt. Sie wären geflohen, die Hexe und ihre Geliebte, sobald ihnen dies klar geworden wäre. Und sie hätten den Zauber mit sich genommen.«
Das war also die Information, die Melissa zu verkaufen gehabt hatte: Tonis Identität. Aber Malik hatte immer gewusst, wo Toni sich aufhielt. Die Bäume hatten darüber getuschelt,
dass er Spellcrackers beobachtete, Toni beobachtete – nicht mich. »Warum hast du nicht einfach die Hexe getötet?«
»Genevieve.« Er seufzte ungeduldig. »Die Hexe stand unter dem Schutz des Hexenrats. Sie zu töten wäre ein eklatanter Regelbruch gewesen und hätte alle möglichen Folgen nach sich ziehen können. Das durfte ich nicht riskieren.«
»Aber was ist mit dem Zauber? Willst du den nicht für dich haben?«, fragte ich.
»Ich brauche ihn nicht.«
Natürlich nicht. Ich gehörte ihm ja bereits – seit ich vier Jahre alt war. »Und was jetzt?«, flüsterte ich.
Er drehte das Messer um, sodass die Klinge nun auf ihn selbst zeigte. Dann drückte er es mir in die Hand und umklammerte mein Handgelenk, zwang mich, das Messer auf seine Brust zu richten. »Das liegt an dir.« Er breitete die Arme aus. Die Narbe von meinem Messerstich blühte rosarot auf seiner bleichen Haut.
Ich schaute zuerst die Klinge an, dann in sein schönes Gesicht.
Und tat nichts.
Malik lächelte, und mein Puls beschleunigte sich. »Genevieve.«
Er wirbelte herum, hüllte sich in Dunkelheit und verschwand.
Epilog
D ie magische Kuppel löste sich auf, und ich stand mit einem Mal draußen auf dem Parkplatz des Leech & Lettuce. Auf einer Seite kauerte Katie neben Finn, die Wodkaflasche kampfbereit in der Hand. Auf der anderen Seite hockte Hugh und ließ müde den Kopf hängen. Neben ihm standen die Constables Taegrin und Wischmopp. Hinter mir lagen die Leichen von Rio und dem Earl, scharf bewacht von einer Horde Knüppler. Die Tribünen waren noch da, aber sie waren leer. Die Vampirzuschauer waren gegangen.
Hannah kam in ihren Jimmy Choos vorsichtig auf mich zu. »Die Polizei wird gleich hier sein, Genevieve. Und du willst wahrscheinlich bleiben, bis deine Freunde in Sicherheit sind. Deshalb habe ich dir ein Geschenk mitgebracht.« Sie bot mir einen Umhang an. »Ist wohl besser, wenn du verschwindest, bevor sie auftauchen.«
Ich musterte sie fragend. »Was meinst du mit ›verschwinden‹? Meinst du ›unsichtbar werden› oder ›weggehen‹?«
»Wie gesagt« – sie schmunzelte -, »ich helfe gern.«
Ich nahm den Mantel, hängte ihn um – und war verschwunden.
Kurz darauf traf die Polizei ein, eine ganze Karawane, mit Detective Inspector Crane an der Spitze, gefolgt von einem Geschwader von Ambulanztransportern aus der HOPE-Klinik.
Die Nacht verstrich, und der Morgen dämmerte herauf, und schließlich blieben nur mehr die beiden Leichen zurück. Die Kobolde übergossen sie mit Benzin und zündeten sie an. Dicke, stinkende schwarze Rauchschwaden stiegen auf und verpesteten
die Luft. Als nichts mehr übrig war außer einem Häuflein Asche, fegten die Kobolde diese in eine Schachtel und gingen damit zur Themse. Ich folgte ihnen und beobachtete, wie sie die Asche auf dem majestätischen Fluss verstreuten, der sie rasch mit sich fort und zum Meer trug.
Und jetzt sitze ich hier im Rosy Lee Café und starre aus dem Fenster. Die Hitzewelle ist endlich vorbei. Draußen rauscht der Regen herunter und spült den Staub von Londons
Weitere Kostenlose Bücher