Süßer der Punsch nie tötet
Lebensthemen«, erklärte Marvin Kahl. »Soziale Gerechtigkeit gehört dazu. Ich finde es nahezu unerhört, dass die einen sich schicke Kochkurse leisten, während die anderen am Existenzminimum krebsen.«
»Wie recherchieren Sie? Sie haben ja viele Punkte aufgegriffen, die auch bei den aktuellen Ermittlungen wichtig sind.«
»Ich lese Zeitung. Und zu Giften findet man alles, was man sucht, im Internet. Ach, warten Sie. Die Autogrammkarten.« Er sprang auf, wühlte im Regal herum und kam mit einem Packen Postkarten zurück. »Darf ich nach Ihren Namen fragen?« Er sah Sabine an.
»Ursula«, sagte Sabine und strahlte ihn an. »Das ist wirklich nett von Ihnen.«
»Ich heiße Heidi«, sagte Katinka, als Kahl sich ihr zuwandte. »Und könnten Sie für meinen Freund auch noch eines signieren? Für Hansi.« Sie hörte ein sonderbares Geräusch aus Sabines Sessel und musste sich zwingen, nicht hinzuschauen.
Ein mordender Krimiautor? Makabre Strategie, um für die eigenen Bücher Werbung zu machen …
13. DEZEMBE R
Katinka saß mit Hardo im Spezial und wartete auf ihr Schäuferla, die fränkische Version der Schweineschulter mit knackiger Kruste und Knochen. »Marvin Kahl durchläuft eine emotionale und künstlerische Durststrecke. Weiß nicht, wohin die Reise als Schriftsteller gehen soll.«
»Diese dusselige Story ist noch nicht einmal veröffentlicht«, regte Hardo sich auf. Als Ex-Germanist und Freund der Literatur hatte er sich sofort in die entsprechenden Bibliothekskataloge vertieft und Marvin Kahls Publikationsliste überprüft. »Ganze zwei Kriminalromane hat der Mann geschrieben. Erschienen in Zuschussverlagen.«
»Ist das ehrenrührig?«
»In den entsprechenden Kreisen jedenfalls nicht gut angesehen. Auch noch dafür zu bezahlen, dass man sich gedruckt sieht.«
»Steht er auf eurer Verdächtigenliste?«
»Wir haben keine Liste. Sag mir, wen ich draufschreiben soll! Einen spintisierenden Blogger? Einen Garagenbewohner, der Punsch braut?«
Katinka zuckte die Achseln. »Hast du schon mal an Gefell gedacht?«
»Den Kochbuchautor? Vergiss es. Soll er wahllos die Kunden der Konkurrenz umbringen? Und wie kommt er an die Opfer? Dringt er nachts in ihre Wohnungen ein und tauscht Gewürze aus?«
»Marvin Kahl ist der Erste, der sich irgendwie hervortut. Er schmückt sich mit den Ereignissen, als könne er daraus einen Vorteil gewinnen.«
»Wir haben keinen begründeten Anfangsverdacht. Checken kann ich ihn also nicht.«
Aber ich, dachte Katinka, während die Bedienung ihr Schäuferla mit Kloß brachte.
»Ich muss noch mal ins Büro«, verkündete Hardo, nachdem er sein Essen vertilgt hatte. »Sehen wir uns später bei mir?«
»Klar.« Sie nickte. Heute Abend kam ihr Hardos Arbeitswut sehr zupass.
Eine Stunde später stand Katinka mit ihrer Minimalausrüstung bewaffnet am Abtsberg. Die Straße war eng, kurvig und fiel steil ab. Katinka verbarg sich gegenüber von Marvin Kahls Haus, direkt unterhalb der Klostermauern von St. Michael. Ein struppiger Baum bot Sichtschutz, aber in ihren schwarzen Kleidern inklusive Gesichtsmaske hätte sie ohnehin niemand erkannt. Wie immer bei Aktionen wie dieser zweifelte Katinka für kurze Zeit an ihrer Arbeit, ihrer Karriere und ihrem ganzen Leben.
Ich bin kein besonders mutiger Mensch, dachte sie, während sie aufmerksam die dunklen Fenster betrachtete. Entweder schlief Marvin Kahl schon, oder er war nicht zu Hause. Da es erst 9 Uhr war, schien ihr Letzteres am wahrscheinlichsten. Katinka wartete, bis ein Wagen knatternd über das Kopfsteinpflaster den Berg hinuntergerast war, überquerte die Straße und trat durch das Gartentor. Sie wehrte sich gegen das Gefühl, die leeren Fenster würden sie angaffen, während sie wieselschnell über den Rasen zur Eingangstür lief.
Das Schloss leistete keinen Widerstand. Katinka schob die Tür gerade so weit auf, dass sie ins Haus schlüpfen konnte. Lauschend blieb sie stehen. Alles war still. Der Dielenboden knarrte, während sie in das große Wohnzimmer schlich, in dem sie gestern mit Sabine und dem Autor gesessen hatte.
Sie zog die Kapuze vom Kopf, spannte sich die Stirnlampe über und schaltete das Licht auf kleinste Stufe. In der Küchenzeile gab es außer Salz und Pfeffer keine Gewürze. Sie entnahm beiden Streuern eine Probe. Im Bad entdeckte sie außer Rasierschaum, Zahnpasta und den üblichen Kleinigkeiten eine Dose mit Talkumpuder. Sie schüttete eine Handvoll in ein Plastiktütchen. »Mist!« Die Hälfte ging daneben
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