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Sueßer Tod

Sueßer Tod

Titel: Sueßer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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Fansler, ich sollte Ihnen für alles danken – das weiß ich. Wir werden uns natürlich bemühen, zu einer angemessenen Honorarvereinbarung zu kommen.«
    Darauf, wie auf vieles andere, ging Kate nicht ein. Das Gespräch war vorüber, und es war zweifelhaft, ob die Rektorin noch eine Minute länger durchgehalten hätte, ohne aus der Rolle zu fallen.

    35

    Fünf

    Bedenkt man, welch sittsames Institut das Clare College ist, sind dessen Honoratioren, das muß man zugeben, ein schrilles Völkchen.

    John Maynard Keynes

    Als Kate das Büro der Rektorin verlassen hatte und vor das Verwaltungsgebäude trat, fand sie sich auf einem Hügel wieder, von dem aus sie fast den ganzen Campus und die angrenzenden Wiesen bis hinüber zum See überblicken konnte.
    Bei der Gründung des Colleges war dieses Gebäude wahrscheinlich als erstes errichtet worden, und der weite Blick, den es bot, war immer noch dazu angetan, dem Betrachter ein Gefühl von Frieden und geistiger Erhabenheit zu vermitteln.
    Der See war groß, und im Laufe der Jahre hatte das College das ganze Land darum herum aufgekauft, damit sich keine vulgären Gebäude oder Aktivitäten dort breitmachen und das Auge der Gelehrten beleidigen konnten. Kate schätzte, daß die Strecke um den See mehrere Meilen betrug und kam zu dem Schluß, daß solch ein Spaziergang bestens geeignet sei, ihren Kopf auszulüften und ihre Gedanken zu ordnen. Patrice war gern um den See gewandert, wobei sie sich, da sie kräftig ausschritt, auf dem engen Pfad oft an gemächlicheren Spaziergängern hatte vorbeischlängeln müssen. Kate konnte das natürlich nicht wissen; um die Wahrheit zu sagen, sie hatte es gerade phantasiert. Aber sie zweifelte nicht daran, daß die Zeit ihr die Beweise für die Richtigkeit ihrer Phantasie liefern würde. Patrice begann lebendig zu werden für sie.
    »Frau Professor Fansler?« Der Mann lehnte an der niedrigen Mauer, die vom Verwaltungsgebäude zu der Treppe führte, die Kate gerade hinabsteigen wollte.
    Als er sich aufrichtete und auf sie zukam, wurde Kate klar, daß er schon längere Zeit dort gestanden und abgewartet hatte, welche Richtung sie einschlug. »Die bin ich«, sagte Kate, blieb vor ihm stehen und vergrub die Hände in den Taschen ihres Regenmantels. »Und wer sind Sie?«
    »Ich heiße Justine«, sagte er. »Albert Justine, werde aber allgemein Bertie genannt; der, wie ich mir gern einbilde, denkbar unangemessenste Name für mich.
    Ich war mit Patrice befreundet.«
    »Ich dachte«, sagte Kate, »Sie wären Veronica. Das heißt, ich dachte, es wäre Veronica, die auf mich wartet. Weiß inzwischen jeder, warum ich hier bin?«
    »Jeder, dem Patrice etwas bedeutete. Das schließt zum Beispiel fast die ganze historische Fakultät und alle Altphilologen und Anglisten aus, zumindest die mit Lehrstuhl. Ich bin Professor für Religion.«
    »Wie peinlich«, sagte Kate.
    »Sie finden Religion peinlich? Das ist ein gutes Zeichen. Zu viele Leute empfinden sie einfach als nichtssagend. Aber lassen Sie sich von meinem Amt 36

    keine Angst einjagen. Ich habe den John Mulmont-Lehrstuhl fürs neue Testament und Ethik, aber vor allem bin ich ein Freund von Patrice, der nicht weiß, wie er ihren Tod überleben soll. Wir haben über alles diskutiert, angefangen von Jesus bis hin zum Zölibat der Priester im Mittelalter. Aber keine Angst, meistens weiß ich mich zu benehmen und bin auch für andere Themen ansprechbar. Sie haben den See angeschaut, als hätten Sie Lust auf einen Spaziergang. Darf ich mich Ihnen anschließen?«
    Nachdem Kate ihn einen Moment betrachtet hatte, nickte sie, und sie gingen zusammen weiter. »Wie Sie bestimmt erraten haben«, sagte er, »habe ich Ihnen aufgelauert. Es kann Ihnen Schlechteres passieren, als zuerst mit mir über Patrice zu reden. Davon bin ich überzeugt. Wenn Sie mich weder mögen noch mir glauben
    – nun, dann wäre das auch so gewesen, wenn wir uns später getroffen hätten. Sie erwähnten Veronica. Ja, auch Veronica wird mit Ihnen sprechen wollen und viele andere, meistens Frauen. Nur wenige Männer fühlten sich zu Patrice hingezogen, zumindest keine der gestandenen. Aber auch von den etablierten Frauen waren ihr die wenigsten zugetan. Besonders die Altphilologinnen hatten eine tiefe Abneigung gegen Patrices Auffassung von den Göttinnen Artemis und Athene oder von Gestalten wie Antigone. Die Altphilologen sind ein besonders engstirniger Haufen.
    Nietzsche haben sie mit dem Bann belegt, verachten die Cambridge-Schule

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