Sueßer Tod
wollte, hatte ich vor, nach unserem Gespräch zu entscheiden. Ich glaube, ich wollte abwarten, ob Sie mir liegen. Nun, Sie liegen mir nicht. Trotzdem habe ich das Gefühl, ich kann Ihnen trauen.«
»Warum sagen Sie mir nicht einfach, wo das Problem liegt? Dann können wir darüber reden, und wenn wir zu dem Schluß kommen, daß ich nicht die Richtige 32
für Sie bin, werde ich wie die Araber meine Zelte abbauen und mich ganz leise davonmachen. Glauben Sie, daß die Araber sich immer noch leise davonmachen, oder machen sie inzwischen, in unserem technologischen Zeitalter, mehr Krach?«
Die Rektorin setzte sich wieder. »Schon vor ihrem Tod hat Patrice dem College eine Menge Ärger gemacht. Wollte man sokratisch und großzügig sein, könnte man sagen, sie war ein Störenfried. Betrachtet man es vom Standpunkt der Fakultäten aus, war sie eine verdammte Last. Offen gesagt: Ich glaube, fast jeder Dekan hier und mindestens der halbe Lehrkörper hätte sie mit Freuden ertränkt, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte. Und doch trauern jetzt alle, und ich glaube, die Trauer ist sogar echt, so als wäre…« Sie brach ab, vielleicht weil sie zu dem Schluß kam, daß diese Richtung ihrer Gedanken nicht weiterführte.
»Eine Dekanin, die bei Patrices Trauerfeier sprach, sagte, sie wäre nie der gleichen Ansicht gewesen wie Patrice, hätte aber gelernt, sie zu achten, und noch mehr: die Aufrichtigkeit ihrer Handlungen zu erkennen.«
»Kann eine Handlung denn unaufrichtig sein?«
»Sie kann gedankenlos sein, von eigenen psychischen Zwängen bestimmt und daher notwendigerweise selbstsüchtig und ohne Gewinn für die Allgemeinheit. Ich glaube, die Dekanin meinte, daß sie Patrices Motiven traute und sich sogar bis zu einem gewissen Grade von ihnen überzeugen ließ.«
»Und welches waren Patrices Motive?« fragte die Rektorin. »Unsicherheit schaffen, Unzufriedenheit und Aufruhr schüren?«
»Vielleicht. Jeder Fortschritt, jede Weiterentwicklung, sieht zu Anfang nach willkürlicher Zerstörung aus und wird selten als Fortschritt erkannt.«
»In Richtung auf welches Ziel schritt sie denn fort?«
»Das«, sagte Kate, »kann ich Ihnen nicht verraten. Zumindest jetzt noch nicht, vielleicht nie. Soll ich nicht genau das für Sie herausfinden?«
»Nein. Ich möchte, daß Sie herausfinden, warum sie sich umgebracht hat, und daß Sie die Gerüchte ein für allemal zum Schweigen bringen. Falls Ihnen jedoch der Verdacht kommt, irgend etwas sei mysteriös an Patrices Tod, daß vielleicht unbekannte und nicht aufspürbare Gifte oder rätselhafte Drogen im Spiel sind, dann müssen wir diese Spur wohl oder übel verfolgen. Es sieht Patrice ganz ähnlich, daß sie uns tot noch mehr Ärger macht als lebendig, wenn ich mich einmal nicht ganz so elegant ausdrücken darf, wie es von einer Rektorin erwartet wird.«
»Ich werde mit vielen Leuten sprechen und überall herumschnüffeln müssen und mich wahrscheinlich, wie Patrice, sehr unbeliebt machen. Sind Sie darauf vorbereitet?«
»Wie kann ich auf etwas vorbereitet sein, das mir so zutiefst zuwider ist? Aber ich habe keine andere Wahl. Heute morgen bekam ich einen Anruf von einem berühmten Professor einer Universität, an deren juristischer Fakultät ich vor Jahren lehrte. Damals dachte ich, wir wären in den meisten Dingen einer Meinung. Er ist Philosoph und hatte den Auftrag, für die Philosophie- und Jurastudenten einen 33
fächerübergreifenden Studiengang einzurichten. Ich arbeitete ihm von der juristischen Seite her zu. Seine Empfehlung war es auch, die den Ausschlag gab, daß ich trotz meiner Jugend und geringen administrativen Erfahrungen diesen Job bekam. Anscheinend ist er Patrice Umphelby mehrmals auf Konferenzen begegnet.
Bei irgendeinem offiziellen Dinner saßen sie dann nebeneinander und sprachen über den Tod, offenbar das Lieblingsthema dieser verdammten Frau. Sie sagte zu ihm, sie sei davon überzeugt, daß beide in der Lage wären, im richtigen Moment den Entschluß zu fassen, zu sterben. Schwierig fände sie es nur, wenn man diesen Moment verpaßte – über ihn hinauslebte. Beim Wein, den es bei diesem Dinner wahrscheinlich im Übermaß gab, versprachen sich die beiden, daß sie einander mitteilen würden, wann der Moment gekommen sei. Eine so verrückte Verabredung konnte wirklich nur Patrice Umphelby treffen!«
»Ich verstehe«, sagte Kate. »Und sie hat ihn nicht benachrichtigt.«
»Natürlich nicht.«
»Wie die Frauen meiner Generation, die ihren
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