Sueßer Tod
besten Freundinnen versprachen, es sie wissen zu lassen, wenn sie zum ersten Mal mit jemand schliefen.
Normalerweise dachte man in dem Moment natürlich an ganz andere Dinge.«
Die Rektorin ließ sich zu einem Lächeln herab. »Genau. Aber Patrice Umphelby mit den Maßstäben zu messen, die für andere Leute gelten, ist unmöglich.«
»Jemand nannte sie eine Heilige«, sagte Kate. »Zumindest zu Zeiten der heiligen Johanna wurden Heilige meistens verbrannt, ertränkt oder jedenfalls geächtet, weil sie sich gegen die geheiligte Institution Kirche wandten. Auch Colleges sind geheiligte Institutionen, wissen Sie.«
»War sie religiös?«
»Ich bezweifle es. Ich wollte nur sagen, daß Leute, die Institutionen, besonders die mächtigen und etablierten, angreifen, zu ihren Lebzeiten von denen an der Macht mit Haß verfolgt werden. Sind sie tot, werden sie zu Heiligen erhoben. Und so unterschiedlich unsere Heiligen auch sein mögen, eines ist ihnen gemeinsam: Sie stifteten – jeder zu seiner Zeit große Unruhe. Und wie es aussieht, haben wir es bei Patrice Umphelby mit einer Vertreterin dieser Gattung zu tun.«
»Frau Professor Fansler, ich bin ausgebildete Juristin, Religionswissenschaft habe ich nie studiert. Ich versuche ein College zu leiten, was, wie Sie wahrscheinlich wissen, heutzutage heißt, Geld auftreiben zu müssen und eine Gratwanderung zwischen Vergangenheit und Zukunft zu vollführen. So etwas wie reine Frauencolleges gibt es nicht mehr, wußten Sie das? An alle Frauencolleges kommen heute männliche Studenten von nahegelegenen Colleges, und unsere Studentinnen rennen ständig an irgendwelche männliche oder gemischte Institutionen, um sich zu informieren. Einen Skandal kann sich ein Frauencollege heutzutage einfach nicht leisten. Es käme in größte Schwierigkeiten. Die Leute werden sagen: ›Wieso soll ich meine Tochter auf ein reines Frauencollege 34
schicken? Wenn es überall Skandale gibt, kann sie genauso gut auf ein gemischtes gehen.‹«
»Ich werde Ihnen helfen, wenn ich kann. Ich glaube, Ihre Befürchtungen sind übertrieben. Wenn ich recht verstehe, ist Ihre Hauptsorge die schlechte Publicity.
Ein Mord auf dem Campus, sollte es den wirklich gegeben haben, ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Zeitungsreporter. Man würde sich genauso gierig darauf stürzen wie damals auf den Mord an dem Scarsdale-Dok-tor. Sie haben natürlich die Möglichkeit, das wissen Sie und ich brauche es Ihnen kaum zu erzählen, still dazusitzen und abzuwarten, bis sich die Gerüchte verflüchtigen.«
»Sie sind mein Weg, stillzuhalten und abzuwarten. Sie wurden als Gast zu unserem Forschungsprojekt geladen, das darüber entscheiden soll, ob wir hier am College feministische Studiengänge einführen. Und in dieser Eigenschaft werden Sie sich notgedrungen mit vielen Leuten unterhalten müssen. Jedem, mit dem Sie sprechen wollen, werde ich eine Notiz mit der Bitte schicken, Sie soweit wie möglich zu unterstützen. Wen Sie aufsuchen möchten, ist natürlich Ihre Entscheidung. Es gibt niemanden auf dem Campus, dessen Meinung nicht von Bedeutung wäre für das Forschungsprojekt, es sei denn, Sie würden darauf bestehen, die Gärtner oder das Küchenpersonal zu konsultieren. Aber mit dem Problem können wir uns befassen, wenn es sich stellt.«
»Ich kann natürlich nur sporadisch hier sein«, sagte Kate. »Man hat schließlich seine Verpflichtungen. Aber ich werde tun, was ich kann. Ich glaube, es wird sich herausstellen, daß Patrice nicht ermordet wurde. Aber womöglich stellt sich ebenfalls heraus, daß ich ein Ärgernis bin für das Forschungsprojekt, denn wenn ich mich erst einmal auf eine Sache einlassen, kann ich für nichts mehr garantieren.
Wäre das eine entsetzliche Aussicht?«
»Mehr als entsetzlich. Aber was Sie auch anstellen mögen – Sie sind nur ein Mitglied der Gruppe neben vielen anderen.«
»Vielleicht sollte ich in Patrices Fachbereich beginnen – bei den Historikern.
Am besten spreche ich zuerst mit den Professorinnen dort.«
»Bei den Historikern gibt es keine Professorinnen«, sagte die Rektorin.
»Zumindest keine mit Lehrstuhl. Patrice war die einzige. Am besten gebe ich Ihnen das Vorlesungsverzeichnis und Sie entscheiden selbst, mit wem Sie beginnen wollen.«
»Gibt es jemanden namens Veronica?« fragte Kate.
»O Gott, ja. Aber die brauchen Sie nicht aufzusuchen. Die sitzt wahrscheinlich schon in den Startlöchern und wartet darauf, Sie anzusprechen. Frau Professor
Weitere Kostenlose Bücher