Sueßer Tod
nichtssagend.«
Als sie schließlich in dem chinesischen Restaurant saßen, hatte Archer jedoch mehr als Omen. Er hatte Neuigkeiten. »Ich habe beschlossen, mit Ihnen zu kommen«, sagte er. »Ans Clare College. Sie spionieren die Leute aus und ich Einzelheiten der Biographie. Sollten sich unsere Wege kreuzen, um so besser.«
»Ich bin erleichtert«, sagte Kate, »daß ich jemanden habe, mit dem ich mich jeden Tag besprechen kann, noch dazu einen so aufheiternden und geistreichen Menschen wie Sie. Aber was ist mit dem armen Herbert? Kann er nicht mitkommen?«
»Er ist wirklich arm dran, unser Herbert. Seine Frühjahrsferien sind nicht, wie Ihre und meine, festgelegt auf die Mitte des Semesters und den März. Herberts Institution hält sich an die religiösen Feiertage, und seine Ferien müssen Karfreitag und Ostern einschließen. Wir werden Herbert jeden Tag einen, wie es die Franzosen so angemessen ausdrücken, coup de fils geben.«
»Besonders angemessen«, sagte Herbert, »angesichts Patrices Faszination für ihren coup de vieux. «
»Wenn Sie noch lange französisch brabbeln, Sie beide, will ich nichts mehr mit 82
Ihnen zu tun haben«, sagte Kate. »Und bitte, wir wollen doch keine Analogie herstellen zwischen Leute ausspionieren, wie Sie es so hübsch ausdrückten, und dem Schreiben einer Biographie. Die Antworten auf die mysteriösen Fragen, die ich habe, werden sich in einer Biographie ziemlich unbedeutend ausnehmen.«
»Ich flehe Sie an, lassen Sie uns nicht über die Metaphysik des Biographieschreibens diskutieren«, sagte Archer. »Ich denke, diese Biographie wird nicht ohne Wahrheit, und die Wahrheit wahrscheinlich nicht ohne Patrices Biographie zu finden sein, auch wenn sich am Schluß herausstellen mag, daß jene Wahrheit für die Geschichte von Patrices Leben ganz unbedeutend war.«
»Genau das ist mein Standpunkt«, sagte Kate. »Soll ich die Rektorin anrufen und sie bitten, Sie auch bei sich unterzubringen?«
»Gott behüte, meine Liebe. Ich werde bei Bertie und Lucy wohnen, von denen ich die unbegrenzte Einladung habe, an ihrem Kamin zu sitzen und in ihrem Gästebett zu liegen. Sie und ich werden uns täglich zur Beratung auf neutralem Boden treffen, sagen wir so gegen sechs, zum Aperitif.«
»Können wir uns nicht zu einem strammen Marsch um den See treffen?« fragte Kate.
»Meine Liebe, vergessen Sie nicht, mit wem Sie sprechen. Stramme Märsche, also wirklich!«
»Ich verstehe einfach nicht«, sagte Herbert gereizt, »wie du so schlank bleibst, wo du doch nie weiter als bis zur nächsten Weinflasche wankst.«
»Nun«, sagte Archer und hob sein Weinglas, »auf Patrices Biographie.«
»Und auf ihren Tod«, sagte Kate.
83
Zehn
Nur jene können sich einander wirklich versprechen, die schon verheiratet sind. Es ist, als ob man erst weiß, daß man verheiratet ist, wenn einem klar wird, daß man nicht auseinandergehen kann, das heißt, wenn man feststellt, daß sich das eine von dem anderen Leben einfach nicht entwirren läßt. Und wenn die Liebe glücklich ist, wird man diese Erkenntnis mit einem Lachen begrüßen.
Stanley Cavell
Es war jedoch Kate, die, nachdem sie sich im Haus der Rektorin eingerichtet hatte
– eine Angelegenheit, die darin bestand, daß sie von der zu diesem Zweck abgeordneten Sekretärin in ihr Zimmer geführt wurde –, sich an Lucys Kamin entspannte. Später würde Kate zum Dinner zu Ted Geddes hinübergehen. Er hatte bei der Sekretärin hinterlassen, Kate möge den ersten Abend mit ihm und seiner Frau verbringen, und die Sekretärin hatte ihm Kates Zusage durchtelefoniert.
Archer war derweil schon auf die Suche nach biographischem Material gegangen, das, wie Kate hoffte, mehr mit dem Leben als dem Tod zu tun haben würde. Es war ein kalter Märztag und Kate schätzte das Feuer und Lucys angenehme Gegenwart.
»Wir haben großes Vertrauen zu Ihnen«, sagte Lucy. »Vor allem, weil Sie von außen kommen und nicht von unserer trüben Vergangenheit und verwickelten Gegenwart beeinflußt sind. Auch Archer steht natürlich über all dem Gerangel hier, aber er muß sich – abgesehen von seiner angeborenen Abneigung, irgend jemandem auf die Füße zu treten – den Kopf für die Dinge freihalten, die seiner Biographie nützen. Sie werden die Wahrheit ausgraben, darauf setzen wir. Und bitte«, fügte Lucy hinzu, »kommen Sie mir jetzt nicht mit den neuesten rhetorischen Theorien, nach denen es überhaupt keine Wahrheit gibt. Sie wissen schon, was ich
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