Sueßer Tod
mehreren heimtückischen Krankheiten. Aber seine Frau, die in den Fünfzigern war, ging mit ihm. Wir schrecken vor der Witwenverbrennung zurück, aber zwischen Verlust und Verlassenwerden unterscheiden wir selten. Patrice verlor ihren Mann, sie wurde nicht verlassen.«
»Ich bin mir fast sicher«, sagte Kate, »daß der Verlust ihres Mannes sie zu ihrer neuen Sichtweise des Todes brachte. Daß man mit ihm lebt, sich ihm zwar nicht in die Arme wirft, aber weiß, daß er, wie ein Ehemann, im Zentrum des Lebens steht.
Woher kommt es, daß ich mich so pompös anhöre und Sie so vernünftig?«
»Weil ich über die Ehe spreche und Sie über den Tod. Aber ich möchte Ihnen noch etwas erzählen. Ich glaube, weil Patrice ein so ausgefülltes Leben führte, Bücher schrieb, Vorlesungen hielt und dann auch noch als Radikale hier auf dem Campus auftrat, haben die Leute mit Neid reagiert – hier am Clare, meine ich. Was sie tat, gehörte sich irgendwie nicht. Es war unanständig. Daß sie Bestsellerautorin wurde, war schon schlimm genug: Erfolg macht Akademiker immer mißtrauisch, wenn er außerhalb der akademischen Welt errungen wird. Und sich dann noch als Revolutionärin zu entpuppen, die die ewigen Wahrheiten in Frage stellt, also, meine Liebe, wie Archer sagen würde…«
»Das war wohl die Meinung von Rektorin Norton und dem gesamten Fachbereich Altphilologie et. al.«
»Na, Rektorin Norton, das ist ’ne eigene Geschichte, wie unsere Putzfrau sagen würde. Sie ist jung, geradezu unverschämt jung für eine Collegeleiterin. Und sie ist Juristin. Haben Sie je darüber nachgedacht, was das bedeutet? Wie sie den Job bekam? O – natürlich, sie ist ein kluges Köpfchen, und selbstverständlich hat sie Ehrgeiz. Wußten Sie, daß sie nach ihrer Collegezeit hier am Clare in Chicago Jura studierte, von dort zu einer schnieken Anwaltsfirma in der Wall Street ging, dann ins Kuratorium des Clare eintrat und zur Rektorin aufstieg? Irgendwann mittendrin machte sie natürlich kurz Halt, um einen ähnlich arrivierten und etablierten Mann zu heiraten. Wissen Sie, was das bedeutet? Rektorin Norton hat nie Zeit vertrödelt, hat nie, wie meine Kinder sagen, herumgehangen. Sie hat nie etwas riskiert oder ein ungeschütztes, unprivilegiertes Leben geführt. Ich spreche dabei nicht nur vom Geld, sondern auch von all den anderen Dingen. Eine meiner Freundinnen meint, sie gehöre zu der Sorte Frauen, die nie auch nur eine Stunde in einer masochistischen Beziehung zugebracht hat. Sie kam gerade noch rechtzeitig, um von der Frauenbewegung zu profitieren. Ein Drittel ihres Jahrgangs an der 86
Chicagoer Universität waren schon Frauen. Wäre ihr jemand damit gekommen, daß es noch wenige Jahre zuvor nur eine Handvoll Frauen pro Jahrgang gab, hätte sie nur die Achseln gezuckt. So etwas berührte sie nicht, sie hatte ja nicht darum gekämpft. Sie lernte, mit wichtigen, mächtigen Leuten umzugehen, aber sie hat nie gelernt, Leuten mit unorthodoxen Ideen zuzuhören, und wenn sie doch mal zuhörte, ließ es sie gleichgültig. Patrice hätte dieser Frau eine einmalige Chance bieten können: die, zu wachsen. Statt dessen behandelte Mrs. Norton Patrice wie eine radikale Spinnerin und hörte lieber der ehrwürdigen Altertumsforscherin zu, die Sie kürzlich bei uns getroffen haben. Und genau das ist das Problem mit Frauencolleges, oder zumindest mit diesem Frauencollege. Es hat Angst vor allem Unorthodoxen. Außerdem ist das die längste Rede, die ich je gehalten habe. Wie es scheint, inspirieren Sie mich.«
»Nicht ich«, sagte Kate. »Patrice. Manchen Leuten hier am Clare ist inzwischen, glaube ich, doch klar geworden, was sie an ihr verloren haben.
Niemand kam je auf die Idee, Patrice zur Rektorin zu machen?«
»Meine Liebe, einen solchen Job hätte sie nicht mit der Kneifzange angefaßt.
Man wollte sie ja noch nicht einmal im Kuratorium haben; und dort hätte sie viel bewirken können, ohne daß sie ihr Leben mit Bürokratie vergeudet hätte.
Bürokraten haben heute das Sagen an Colleges und Universitäten – und die von ihnen beeinflußten Professoren. Über Ideen zu reden, gilt inzwischen als albern.
Was zählt, ist die Bilanz und wie man möglichst viele Studenten und Spender anlockt. Und das heißt natürlich, daß man sich an einem Frauencollege davor hütet, die Institution Familie zu hinterfragen, die Stellung der Frau und die alte Sichtweise von Gott.«
»Ich glaube«, sagte Kate, »Sie brauchen einen Drink. Sieht Bertie das so wie
Weitere Kostenlose Bücher