Süßer Tod
diesen Teilbereich überlassen, und er wollte ganze Arbeit leisten, denn er wollte den älteren Kollegen nicht nur zufriedenstellen, sondern beeindrucken.
Hauptsächlich aber wollte er seine Albträume besiegen.
Hallie hatte deutlicher zu spüren bekommen als jeder andere, was in ihm vorging, und er wusste, dass sie sich um ihn sorgte. Er hörte ihr die Erleichterung an, als er anrief, um ihr zu erzählen, dass Jay ihn überredet hatte, auf seine Party zu gehen. »Gut«, sagte sie.
»Eigentlich nicht, aber er hat einfach keine Ruhe gegeben.«
»Warum willst du nicht hin?«
»Weil ich dich nicht mitnehmen kann.«
»Ich fühle mich geschmeichelt, aber ist das wirklich der einzige Grund?«
Er konnte ihr einfach nichts vormachen. »Ich verschwende nur ungern eine Nacht. Ich pflüge mich durch die Ermittlungen und will nicht aus dem Tritt kommen.«
Sie wurde leiser: »Wie geht es dir?«
»Ich vermisse dich.«
»Abgesehen davon.«
»Gut.«
»Du hörst dich müde an.«
»Bin ich auch. Aber ansonsten geht es mir gut.«
Sie widersprach ihm nicht, doch er meinte, ihr zweifelndes Stirnrunzeln zu sehen. Wenn ihr etwas durch den Kopf ging, kniff sie auf ausgesprochen niedliche Art die Lippen und Brauen zusammen. Dieses Stirnrunzeln hatte er erstmals an ihr gesehen, als er ihr vor zwei Jahren an Silvester auf einer Party von gemeinsamen Freunden begegnet war. Sie hatte am Buffet gestanden und die rohen Austern auf ihrem Bett aus Eis betrachtet. Er war zu ihr getreten und hatte gesagt: »Ich glaube nicht, dass sie
zuschnappen.« Woraufhin sie lachend erwidert hatte: »Ich werde es auf keinen Fall tun.«
Dieses nachdenkliche Schmollen ließ ihre Lippen so unendlich kussfreudig wirken. Am liebsten küsste er ihr Schmollen weg, wenn sie eine Brille trug. Sie hatte ihm nicht geglaubt, als er ihr versichert hatte, dass ihm die Brille lieber war als Kontaktlinsen. Aber es stimmte.
Er wechselte das Thema und fragte: »Wie laufen die Meetings?«
Sie arbeitete in der Kreditabteilung der örtlichen Niederlassung einer großen Bank. Nur Wochen vor der Silvesterparty, auf der sie sich kennengelernt hatten, hatte es sie durch eine Beförderung nach Charleston verschlagen. Seither hatte sie noch ein »Vizepräsidentin« vor ihren Namen setzen können. Diese Woche war sie in Boston in der Zentrale ihrer Bank.
»Lang, aber informativ.«
»Die Reise hat sich also gelohnt.«
»Mhm.« Dann: »Ach ja! Ich habe heute mit meiner Mutter telefoniert. Die Kirche wäre am Sonntag den zwölften frei.«
»Super.« Es war das Datum im April, an dem sie heiraten wollten. Frühlingsblumen in voller Blüte. Noch nicht zu heiß oder zu schwül. »Ich rufe gleich meine Mom an und sage ihr Bescheid.«
»Meine Mom hat schon mit ihr gesprochen.«
»Äußerst praktisch.«
Sie lachten, denn er hatte den drei Frauen sämtliche Hochzeitsvorbereitungen überlassen und Hallie erklärt, sie solle ihm nur rechtzeitig Bescheid sagen, wann er mit dem Ring auftauchen sollte. Er hatte das Gefühl, dass er nichts weiter zu wissen brauchte.
»Schön, dich mal wieder lachen zu hören«, sagte sie. »Und ich finde es super, dass du auf Jays Party gehst. Du brauchst dringend eine Pause.«
»In letzter Zeit war es nicht besonders unterhaltsam mit mir, oder?«
»Du nimmst dir deine Arbeit sehr zu Herzen.«
»Ich weiß. Es tut mir leid.«
»Du brauchst dich nicht für dein Pflichtbewusstsein zu entschuldigen, Raley. Der Brand war eine Tragödie. Wenn du dir die Ermittlungen nicht so zu Herzen nehmen würdest, würde ich dich nicht so lieben.«
Ihr leises Bekenntnis und das Verständnis, das daraus sprach, weckte in ihm die Sehnsucht nach einer Berührung. Boston hätte genauso gut in einer anderen Galaxie liegen können. »Warum bist du nicht hier, damit ich mit dir schlafen kann?«
»Morgen«, versprach sie. »Halte dir morgen Abend frei. Ich bringe ein neues Negligé von Victoria’s Secret mit. Ich habe fest vor, dich von deiner Arbeit und von allem anderen abzulenken.«
Seine Fantasie schlug Purzelbäume. »Wie wär’s mit etwas Telefonsex als Vorspiel?«
»Ich wäre dabei«, sagte sie. »Aber ich muss in fünf Minuten ins nächste Meeting.«
»Ich brauche bestimmt keine fünf Minuten.«
»Wenn du mir die Regie überlassen würdest, würdest du noch viel länger brauchen«, schnurrte sie und lachte, als sie ihn aufstöhnen hörte. »Außerdem möchtest du doch nicht zu spät auf Jays Party kommen.«
»Er hat versprochen, dass es eines seiner
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