Süßer Zauber der Sinnlichkeit
schneeweiß war, wirkten die Züge jünger als jene seines Stellvertreters, kräftig und kantig, eher wie die eines Knechtes denn eines Edelmanns. Dominie schätzte den Abt als einen Mann ein, der alles tun würde, um seine Schützlinge zu verteidigen – was einen gewissen Laienbruder seines Ordens einschloss. Das alles verhieß nichts Gutes für Dominies Mission.
"Tritt nur herein, mein Kind!" Der Abt winkte sie zu sich. "Ich will hoffen, du hast dich auch richtig satt gegessen!"
"Oh ja, ehrwürdiger Vater. Danke! Es war das beste Mahl, das ich seit langem zu mir genommen habe!" Diese Gelegenheit, ihr Anliegen vorzutragen, hatte ihr der Himmel geschickt! Die durfte sie nicht verpassen! "Solange die Dinge daheim auf Wakeland und Harwood nicht wieder ins Lot geraten – wer weiß, wann ich wieder einmal so üppig speisen darf?"
"Bruder Armand hat mir bereits von deiner misslichen Lage berichtet", erwiderte der Abt.
Dominie warf Armand einen trotzigen Blick zu. "Verzeiht mir, ehrwürdiger Vater, aber er vermag Euch unser Elend nicht ansatzweise zu schildern, denn ich konnte ihm nicht einmal knapp die Hälfte darstellen."
"Dennoch habe ich den Eindruck, genug zu wissen, um mir ein Urteil in dieser Sache erlauben zu dürfen."
Genau das hatte sie befürchtet!
"Aber Ihr hattet mir doch Euer Wort gegeben!" Mit gefalteten Händen ließ Dominie sich flehentlich auf die Knie sinken. "Ich bitte Euch inständig, Vater Abt, hört mich an, bevor Ihr entscheidet!"
"Warum denn, mein Kind?" Der Mönch wies auf Armand. "Glaubst du etwa, dieser Mann würde mir etwas anderes als die Wahrheit erzählen?"
Es drängte sie heftig, den Abt zu ihren Gunsten zu beeinflussen und ihm deshalb alles Mögliche vorzutragen. Aber Armand der Täuschung zu bezichtigen? Wo er doch ein so hoffnungslos aufrichtiger Mensch war, wie sie keinem jemals zuvor begegnet war?
"Nein, Vater", räumte sie ein, wenn auch mit äußerstem Missmut. "Würde Armand Flambard versuchen, etwas Unwahres zu sagen – ich fürchte, seine Zunge würde sich in Stein verwandeln."
Die Mundwinkel des Abts zuckten, doch schnell hatte er sich wieder in der Gewalt. "Er hat mir berichtet, dass du ihn darum gebeten hast, ihn zu deinen Gütern zu begleiten, um sie gegen den Earl of Anglia verteidigen zu helfen … besser gesagt, gegen den einstigen Grafen von Anglien!"
Dominie konnte sich des Verdachtes nicht erwehren, dass die Wurzel allen Übels, welches ihre Leute heimgesucht hatte, genau in diesen Worten zu suchen war – einstiger Graf! Als Reaktion auf Untreue und Verrat hatte der viel zu gnädige König Stephen seinem Earl Eudo St. Maur zwar Titel und Lehen abgesprochen, dem Schurken jedoch leider die Freiheit gelassen. St. Maur seinerseits hatte sich an seinem König gerächt, indem er eben die Menschen ausraubte, die ihm zuvor Tribut gezahlt und sich seinem Schutz anvertraut hatten.
"Sehr wohl, ehrwürdiger Vater." Dominie erhob sich. Ihr Kniefall hatte den Abt offenbar nicht im Mindesten gerührt. "Ohne Lord Flambards Hilfe werden, so fürchte ich, viele getötet werden und gar noch mehr hungers sterben, wenn St. Maur unsere Ernte verwüstet."
"Hast du denn keine eigenen Verteidigungskräfte? Nach meinem bisherigen Eindruck bist du doch eine überaus tatkräftige junge Frau!"
Sollte das etwa ein Scherz sein? Doch nein, die Hochachtung, die in den grauen Augen des Abtes aufleuchtete, war ehrlich.
"Ich bin nur ein schwaches Weib", widersprach Dominie. "Selbst wenn mir das Kriegshandwerk läge, was nicht der Fall ist, würden mir die Männer von Wakeland und Harwood nur ungern gehorchen. Ähnlich wie die vielen normannischen Barone, die Maud von Anjou die Gefolgschaft verweigerten, weil sie eine Frau ist."
Der Abt hob die Schultern. "Andere hingegen würden ihr offenbar selbst in die Hölle folgen! Und vergiss König Stephens Gemahlin nicht, mein Kind! Wieder und wieder hat sie ihren Herrn und Gebieter aus der Bedrängnis gerettet, in die er sich selbst manövriert hatte."
Plötzlich tippte Abt Wilfrid sich mit dem Zeigefinger ans Kinn, als wäre ihm bei seinen Worten ein ganz neuer Gedanke in den Sinn gekommen. "Ich fürchte, ohne die resolute Unterstützung durch seine Gemahlin hätte unser König längst seinen Thron eingebüßt. Und wo stünde wohl Maud von Anjou, hätte sie nicht einen Heerführer wie den Grafen von Gloucester?"
"Das ist mir einerlei!" rief Dominie aus. "Inzwischen kümmert es mich nicht mehr, wer von den beiden siegt – wenn es mich
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