Süßer Zauber der Sinnlichkeit
Armand hatte selbst kampferprobte Söldner gekannt, die unschuldiger und bescheidener aufgetreten waren!
Und obendrein weniger stur!
"Ich begreife nicht, warum wir so zeitig aufbrechen mussten!" protestierte Armand, während er mit Dominie querfeldein über die hügelige Landschaft von Norfolk stapfte. "In einigen Stunden wird es dunkel. Wäre es denn so schlimm gewesen, noch im Kloster zu übernachten? In einem richtigen Bett zu schlafen und dann im Morgengrauen mit einem ordentlichen Frühstück im Bauch loszuziehen?"
Knapp zwei Stunden waren seit der Audienz beim Abt vergangen. Im Kloster selbst würden die Brüder sich inzwischen zum Abendbrot niederlassen, zweifellos seine Abwesenheit bemerken und beredte Blicke tauschen, möglicherweise sogar tuscheln, denn während der Mahlzeiten im Refektorium wurde das Schweigegebot nicht ganz so streng eingehalten.
Nur diejenigen, die zur Feldarbeit eingeteilt gewesen waren, mochten vielleicht berichten, sie hätten gesehen, wie er einen Jüngling zum Kloster geleitete. Ob Bruder Ranulf wohl die höchst interessante Auskunft preisgeben und erzählen würde, dass der Knabe in Wirklichkeit eine Jungfer gewesen war? Noch dazu eine recht ansehnliche?
Denn das, kein Zweifel, war sie allemal! In dieser Hinsicht zumindest hatte sein Gedächtnis ihn nicht getrogen. Wenn sie nicht gar seit dem letzten Zusammentreffen noch anziehender geworden war! Umso schlimmer! Es war nur ein Jammer, dass sich ihr Charakter nicht so vorteilhaft weiterentwickelt hatte wie ihr Aussehen!
"Wir müssen uns beeilen!" entgegnete Dominie. "Bis zum Einbruch der Dunkelheit will ich Thetford Forest erreicht haben. Im Wald wird uns niemand entdecken!"
Wie schaffte sie es bloß, dachte Armand verwundert, ihm andauernd voraus zu sein? Er schritt doch recht zügig aus und spürte dies auch schon in den Muskeln! Sie hingegen musste sich offenbar nicht einmal anstrengen! Obwohl sie die kürzeren Beine hatte, blieb er dennoch dauernd hinter ihr zurück – eine Rolle, die er nur ungern spielte. Die Jahre im Kloster hatten seinen Stolz zwar gezügelt, doch keineswegs verschwinden lassen.
"Wenn du es so eilig hast – warum hast du dann auf das Pferd verzichtet, dass der Abt uns angeboten hat? Dann hätten wir mit dem Aufbruch bis zum Morgen warten können und wären trotzdem eher angekommen als jetzt zu Fuß bei diesem Tempo!"
Pah! Der Abt hatte gut reden mit seiner Zusammenarbeit von Mann und Weib! Er hatte ja auch mindestens zwanzig Jahre seines Lebens hinter Klostermauern verbracht, und die einzigen weiblichen Wesen, die er kannte, stammten aus der Heiligen Schrift!
"Auf der Landstraße? Ja, bist du denn noch bei Trost?" zürnte Dominie in einem Ton, den die frommen biblischen Frauenfiguren wohl kaum angeschlagen hätten, Delilah oder Jezebel vielleicht ausgenommen. "Die verläuft durch das von St. Maur geplünderte Gebiet! Falls einer von seinen Räubern den Weg kontrolliert, würden wir überfallen und unseren Gaul auf der Stelle los sein, wenn nicht gar Schlimmeres! Lieber mache ich einen Umweg, so wie auf dem Hinmarsch, wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass wir mit heiler Haut ankommen!"
Bei der Aussicht auf eine dreitägige Wanderung in ihrer Gesellschaft wurde ihm mulmig zu Mute – nicht so sehr wegen der Tage an sich, denn da würden sie ja unterwegs sein und manchmal rasten. Die Nächte hingegen … die standen auf einem anderen Blatt!
Im Schlafsaal seines Klosters hatte er sich während zu vieler Nächte schlaflos auf seiner schmalen Pritsche gewälzt und sich mit Träumen von Dominie herumgeplagt, die ihn andauernd heimsuchten. Wie würde er damit leben, dass sie nur einige Ellen von ihm entfernt ruhte? Wenn sie schlummerte und ihre sanften Atemzüge lockend nach ihm riefen?
"Du scheinst nicht zu glauben, dass ich dich verteidigen würde, wenn du angegriffen wirst", entrüstete er sich, ohne an sein Gelübde der Gewaltlosigkeit zu denken. "Dennoch behauptest du die ganze Zeit, ich sei der Einzige, der ganz Wakeland und Harwood vor der Geißel der Fenns retten könne! Ein Widerspruch in sich!"
"Das wäre ja auch etwas völlig anderes." Wieder hastete Dominie ihm voraus. "Dann wirst du eine Stellung zu verteidigen haben! Eine der Burgen, ein Herrenhaus, eine Scheuer. Und ein Trupp bewaffneter Männer wird deinem Befehle folgen. Aber hier auf offener Landstraße, bedrängt von drei oder vier Banditen – welche Chance hätten wir ohne Waffen?"
"Ohne Waffen?" spottete er.
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