Summer Sisters
war ein sonderbares Gefühl, die Bäumchen aus ihrer winzigen geschützten Topfwelt zu nehmen und sie in die weite freie Natur zu verpflanzen. Sie sahen so verletzlich aus, dass wir gar nicht weggehen wollten. Es schien so, als würden sie gar nicht dorthin gehören. Als wir endlich gingen, sah Jo aus, als würde sie gleich losheulen.
Im ersten Sommer waren wir häufig dort, um zu sehen, wie es den Bäumchen ging. Jo brachte oft ihre Geige und Dünger mit.
Im vierten Schuljahr haben wir uns fast täglich nach der Schule getroffen. Manchmal haben wir uns im 7-Eleven Eis und Schokoriegel gekauft und dann auf dem Heimweg noch bei unseren drei Bäumen vorbeigeschaut.
2
Polly
Damals spielte Jo echt gut Geige. Sie übte oft mit ihrem Vater, der auch spielte, aber schon bald war sie besser als er. Er war unheimlich stolz auf sie und meinte, wenn sie weiter so viel üben würde, könnte aus ihr eine richtige Geigerin werden.
Jo konnte sämtliche Chart-Hits mitspielen, sogar die Songs von irgendwelchen Rappern, was sich unglaublich komisch anhörte. Sie konnte fast jede Melodie nachspielen, und das so laut, dass es einem fast das Trommelfell zerriss.
Jo
Als wir in der vierten Klasse waren, ließ sich Pollys Mutter Dia aus irgendeinem Grund eine Tätowierung stechen. Ein Spinnennetz rund um ihren Bauchnabel. Ich fand das unheimlich cool. Ich war total beeindruckt, dass eine Mutter sich eine Tätowierung machen ließ.
Polly übernachtete an diesem Tag bei mir, und als wir abends im Bett lagen, weinte sie und sagte, sie wünschte, ihre Mutter hätte das nicht machen lassen. Damals verstand ich das nicht, aber jetzt, wo ich älter bin, schon.
Jo hievte ihre Reisetasche auf den Gepäckhaufen in der Diele. Die Koffer ihrer Mutter standen nebeneinander in der Ecke, darauf waren ordentlich Sonnenhüte und Schuhkartons gestapelt. Sie wollten zwar erst am nächsten Tag losfahren, aber es war unglaublich viel Arbeit, alles Notwendige für die gesamten Sommerferien einzupacken.
Ihre Mutter kam in die Diele geschwebt, um die Fortschritte zu begutachten.
»Jo, was soll dieser ganze Müll? Ich wünschte, du würdest davon was aussortieren. Brauchst du wirklich dein Skateboard?«
»Das ist kein Müll. Das sind meine Sachen. Außerdem passt das alles locker ins Auto«, sagte Jo.
Ihre Mutter mochte keine Unordnung oder Schmutz. Nicht mal die vorübergehende Unordnung, die unvermeidlich war, wenn man für einen Urlaub packte oder umzog.
»Wo sind Dads Sachen? Wo sind seine Golfschläger?«, fragte Jo.
Ihre Mutter nahm einen Strohhut von einem ihrer Koffer und versuchte, ihn in die ursprüngliche Form zu biegen.
»Mom?«
»Wahrscheinlich bringt er alles mit, wenn er zu uns rauskommt«, sagte ihre Mutter.
»Wann kommt er denn? Ich dachte, er fährt mit uns.«
Jos Mutter ließ den Hut sinken und sah sie an. »Nein.«
»Warum denn nicht? Hat er Bereitschaftsdienst?«
»Ja.«
»Den ganzen Sommer über?«
»Jo, ich bitte dich.«
Ihre Mutter wollte ganz offensichtlich nicht darüber sprechen und deshalb musste Jo es umso dringender tun.
»Wann kommt er denn?«
»Warum fragst du ihn nicht selbst?«
»Warum? Redet ihr nicht mehr miteinander?«
Ihre Mutter wandte den Blick noch rascher ab, als Jo erwartet hatte. Ihre Stimme war jetzt ganz leise.
»Das solltest du mit deinem Vater besprechen.«
Jo versuchte, sich daran zu erinnern, seit wann ihre Mutter nicht mehr »Dad«, sondern »dein Vater« sagte.
»Wirklich, du solltest mit ihm reden, bevor wir abfahren. Frag ihn nach seinen Plänen«, sagte ihre Mutter wieder.
Was bedeutet das? Was versuchst du mir mitzuteilen?, wollte Jo fragen, aber sie klappte den Mund wieder zu. Wozu sollte sie ihre Mutter quälen, wenn sie sich dabei selbst quälte? Wollte sie es wirklich wissen?
»Ich kann mit ihm reden, wenn er zu uns ans Meer kommt«, sagte Jo gespielt unbekümmert, drehte sich um und lief die Treppe hoch. »Ich kann den ganzen Sommer über mit ihm reden.«
Jo
Als Ama, Polly und ich in der vierten Klasse waren, hat Amas Schwester Esi einen Studienplatz in Princeton bekommen und im nächsten Jahr angefangen zu studieren.
Das war der Hauptgrund, weshalb Amas Familie von Ghana in die USA gezogen ist. Sie wollten, dass Esi die beste Universität besuchte, ohne dass sie deshalb durch die halbe Welt von ihnen getrennt war. Darum war es wirklich eine große Sache, als Esi die Zulassung bekam, und ihre Familie hat das tagelang gefeiert. Amas Mutter ist eine tolle Köchin. Ich
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