Summer Sisters
fragte Polly.
Jo hatte bergeweise Schokokekse gebacken und sie heute Morgen in Alufolie verpackt vorbeigebracht.
»Ja, gern.«
Polly sah zu, wie ihre Mutter nach einem Keks griff und sich setzte. Es war Zeit, das stillschweigende Abkommen zu brechen und endlich Fragen zu stellen.
»Dia?«
»Ja.«
»Kann ich dich was fragen?«
Ihre Mutter stand auf, öffnete wieder den Kühlschrank und goss sich ein Glas Milch ein.
»Okay«, sagte sie vorsichtig.
»Wo sind deine ganzen Sachen?«
Ihre Mutter warf ihr einen Blick zu, als überlege sie, ob sie so tun sollte, als hätte sie nicht verstanden. Aber sie tat nicht so.
»Die Sachen aus dem Atelier? Meine Arbeiten?«
»Ja.«
»Viele von den alten Sachen sind verkauft oder ich hab sie weggepackt.«
»Und die neuen?«
Dia stützte sich mit einer Hand an die Kühlschranktür und wandte ihr Gesicht ab.
»Du hast nichts mehr gemacht«, riet Polly.
»Nicht viel. In der letzten Zeit.«
»Warum nicht?«
Als Dia wieder zu Polly blickte, war ihr Gesicht traurig, aber nicht böse.
»Ich glaube, ich habe mich nicht mehr als Künstlerin gesehen«, sagte sie langsam. »Ich habe immer geglaubt, meine Bäume aus Zivilisationsschrott wären originell und schön, und die Käufer fanden das auch. Aber auf einmal gefielen sie mir nicht mehr. Ich habe etwas anderes ausprobiert, aber die Leute wollten nichts anderes von mir. Und irgendwann fühlte es sich so an, als würden meine früheren Erfolge einer anderen Frau gehören.«
»Warum hast du deine Bäume nicht mehr gemocht?«
Ihre Mutter überlegte.
»Weil... ich glaube, weil sie mir plötzlich respektlos vorkamen. Gegenüber echten Bäumen.«
Polly nickte. Das verstand sie. Sie hätte noch fragen können: Und warum bist du trotzdem immer ins Atelier gegangen? , aber eigentlich kannte sie die Antwort. Ihre Mutter hätte wahrscheinlich gesagt, sie hätte gehofft, dort ihre verlorene Inspiration wiederzufinden. Polly wusste, dass das wahrscheinlich auch stimmte, aber sie kannte auch den noch wichtigeren Grund dahinter.
Polly wollte ihre Mutter ganz und gar, sie brauchte sie und wollte immer noch ein bisschen mehr von ihr als das, was sie bekam - und sie wurde immer enttäuscht: Was sie bekam, war nie genug. Deshalb wurde sie immer drängender und fordernder. In der Hoffnung, Dia würde sich endlich wie eine richtige
Mutter verhalten, benahm sie sich wie ein kleines Kind - aber das hatte nie funktioniert. Polly wusste, dass ihre Mutter ins Atelier ging, um sich vor ihr zu verstecken.
»Das alles ist für dich bestimmt nicht leicht zu verstehen«, sagte Dia.
Polly nickte. Ja und nein.
Ihre Mutter wandte ihr Gesicht wieder ab. »Ich kann nur hoffen, dass du mich jetzt nicht verurteilst. Vielleicht wirst du ein paar Dinge besser verstehen, wenn du älter bist und mehr über das Leben weißt.«
»Ich versuch’s.«
Dia setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
»Bist du nervös wegen morgen?«, fragte Polly.
»Ja, und ein bisschen aufgeregt. Es wird ein kompletter Neuanfang, und irgendwie freue ich mich darauf.«
»Ich wünsch dir, dass es klappt.«
»Ich werde mir sehr große Mühe geben, Pollymaus.«
Polly nickte.
»Dia?«, sagte sie dann.
»Hm.«
»Ich brauch eine Zahnspange. Ich hätte schon vor Urzeiten eine gebraucht.«
Dia sah sie nachdenklich an. »Wahrscheinlich hast du recht.«
»Ich könnte zu dem Kieferorthopäden von Jo gehen, aber mein Babysitter-Lohn wird für die Behandlung niemals reichen.«
»Mach dir deshalb mal keine Sorgen.«
»Nein?« Ihre Mutter hatte schon ewig nichts mehr verkauft. Jetzt, wo Polly den Grund dafür kannte, machte sie sich wenig Hoffnung, dass sie von Dias Arbeit leben konnten. »Kannst du das denn bezahlen?«
» Du kannst es.«
»Ich? Nö, niemals. Ich hab mein ganzes Geld für den blöden Modelwettbewerb verpulvert.«
»Du hast jede Menge Geld auf der Bank.« Dia nahm Pollys Glas und trank einen Schluck von dem Wasser.
»Was meinst du damit? Auf welcher Bank?«
»Mein Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Du weißt das nicht, weil ich es dir nie erzählt habe, aber er war Vertriebsleiter eines großen Autokonzerns. Er ist vor zwei Jahren gestorben, und weil er außer mir keine anderen Kinder hatte und mich nicht ausstehen konnte, hat er sein ganzes Vermögen dir hinterlassen.«
»Mir?«
»Ja. Sein ganzes Geld und ein Riesenhaus in Grosse Pointe in Michigan.«
»Er hat mir ein Haus vererbt?«, fragte Polly ungläubig. »Aber er hat mich doch gar nicht
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