Summer Sisters
sich auf den vor ihr liegenden Tag. Sie würden nachher in die Stadt fahren und sich mit allem eindecken, was sie für die Highschool brauchten. Sie liebte es, neue Hefte, Ordner und Stifte zu besitzen, und war froh, dass es Polly ähnlich ging, obwohl sie längst nicht so ehrgeizig war wie sie selbst. Die Schule fing in vier Tagen an.
Der wievielte war heute überhaupt? Als es Ama einfiel, stand sie ruckartig auf und tappte in Nachthemd und Socken in die Küche.
»Weißt du, was heute für ein Tag ist?«, fragte sie Polly, die mit Bob Uno spielte.
Polly sah von ihren Karten auf. »Äh, nö?«
»Der 1. September.«
Polly verstand sofort.
Ama ging schnell in ihr Zimmer, um sich anzuziehen, und wenig später kam Polly herein und sah sie an.
»Und jetzt?«, fragte sie.
»Was meinst du - sollen wir anrufen?«
»Könnten wir.«
»Es ist aber noch ein bisschen früh.«
Polly zog sich Socken und Schuhe an und auch Ama bückte sich nach ihren Stiefeln. Es war unmöglich, jetzt noch an etwas anderes zu denken.
»Wir könnten einfach hingehen«, sagte Polly.
»Das hab ich auch grad gedacht.«
Als Jo am Abend ins Bett gegangen war, hatte sie genau gewusst, was für ein Tag morgen war.
Sie stand früh auf und ging zum Friedhof. Zwei Jahre lang hatte sie diesen Ort gemieden, aber jetzt fühlte sie sich bereit dafür. Sie setzte sich ins Gras und spürte, wie der Tau durch ihre Hose drang. Die Sonne ging auf und schickte ihre Strahlen durch die Kronen der alten Bäume.
Sie dachte an die Erde unter ihr und was sie alles barg, aber es machte ihr keine Angst mehr. Das hatte sie ihrem Traum zu verdanken.
Sie spürte, wie sie sich öffnete und zuließ, dass eine ganze Woge von Gefühlen sie durchspülte.
Finn fehlte ihr.
Ihre Eltern lebten getrennt.
Sie hatte ihre Freundschaft mit Polly und Ama zu wenig geschätzt.
Sie hatte Angst davor gehabt, dass diese Gefühle sie erdrücken könnten, wenn sie ihnen erst einmal freien Lauf ließ, aber das geschah nicht. Man musste Gefühle zulassen, um zu wissen, wie mächtig sie waren. Erst dann wusste man, wie stark man selbst war.
Finn würde ihr immer fehlen.
Das war die Wahrheit und das Wissen darum tat gut. Sie beschloss, seinen Namen jeden Tag mindestens einmal auszusprechen und die Erinnerung an ihn nicht zu verdrängen. Sich einzugestehen, wie sehr er ihr fehlte, war unendlich erleichternd, und erst jetzt spürte sie, wie schmerzhaft es gewesen war, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen. Verdrängen kostete ungeheuer viel Energie und das wollte sie nicht mehr. Vielleicht konnte sie ihre Mutter auch ein bisschen in diese Richtung beeinflussen.
Sie musste an ihre Eltern denken. Die Trennung hatte auch gute Seiten. Sie und ihr Vater hatten sich lange verloren und jetzt hatten sie sich wiedergefunden. Das erfüllte sie mit Hoffnung. Vielleicht fanden ihre Eltern ja auch einen Weg, wie sie wieder miteinander reden konnten. Alles war möglich.
Der Gedanke an ihre Freundinnen machte sie traurig. Polly hatte so viel durchgemacht und Jo hatte sie im Stich gelassen. Und Ama. Zu ihr war sie zwar nicht gemein gewesen, aber sie hatte auch nichts dafür getan, dass sie sich nahe blieben.
Als sie im Krankenhaus auf die Notärztin gewartet hatten, waren sie sich wieder ganz nah gewesen, und es hatte sich fast so wie früher angefühlt. Das hatte ihr Hoffnung gemacht, dass ihre Freundschaft vielleicht doch noch zu retten war, auch wenn so viel anderes passiert war. Vielleicht war es ja noch nicht zu spät. Vielleicht konnte sie Ama und Polly zeigen, wie viel ihr die Freundschaft mit ihnen immer noch bedeutete. Auch ohne magische Jeans oder einen blöden Schal.
Das war das Wichtigste, das sie in diesem Sommer gelernt hatte und was sie Polly und Ama so gern sagen würde. Aber vielleicht hatten sich die beiden inzwischen zu weit von ihr entfernt? Sie fragte sich, ob es einen Weg gab, ihnen zu zeigen, wie sie ihre gemeinsame Freundschaft wiederfinden konnten.
Jo spürte, wie ein sanfter Lufthauch über ihre Schultern
hinwegwehte, und ihr war, als würde er ihre schweren Gedanken mitnehmen. Sie legte sich hin, rollte sich ganz klein zusammen und drückte ihr Ohr ins Gras. Sie stellte sich vor, sie könnte hören, wie die Wurzeln der Bäume wuchsen und sich ausbreiteten.
Sie musste eingeschlafen sein, denn als sie aufwachte, war sie nicht mehr allein. Im ersten Moment war sie so erschrocken, dass sie überhaupt nicht wusste, wo sie war. Benommen setzte sie sich auf.
Ama und
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