Summer Westin: Todesruf (German Edition)
Seattle, und man muss sich vorher im Internet einen Termin besorgen.«
Wieder zuckte der Mann mit den Schultern. »Kann sein.«
Ernest beschloss, nicht länger auf dem Veteranenthema herumzureiten. »Und Arbeit?«, fuhr er fort und schnaubte effekthaschend. »Als ich hier raufgezogen bin, habe ich beim Forest Service und beim Park Service wegen Arbeit gefragt. Nur Wegetrupp, haben sie mir gesagt.«
Ford nickte. »Ja, im Sommer kriegt man immer einen Job beim Wegetrupp. Nicht schlecht bezahlt, aber verdammt harte Arbeit.«
Ernest schüttelte den Kopf. »Sehe ich aus, als könnte ich harte Arbeit machen? Das ist ein Job für junge Leute.« Er legte die Hand auf den Tresen. »Aber so geht die Regierung eben mit einem um. Sie benutzt einen, bis man völlig ausgelaugt ist, und gibt einem nicht die geringste Gegenleistung.«
Fords Blick blieb starr auf den Bildschirm gerichtet. Er griff nach dem Bierglas und deutete damit auf den Fernseher, wo gerade ein paar Jugendliche auf Skateboards mit Fruchtsaftgetränken in der Hand zu sehen waren.
»Diese blonde Frau, die war letztes Jahr unten in Utah und ist einem Freund von mir tierisch auf die Nerven gegangen«, knurrte Ford. »Und jetzt ist sie hier! Eine von diesen Ökofreaks, denen Tiere wichtiger sind als Menschen.« Er beugte sich zu Ernest und blies ihm dabei den erdigen Geruch nach Budweiser-Bier ins Gesicht. »Aber ich werde sie auf ihrem eigenen Feld schlagen. Der zahle ich das heim. Denen zahle ich das allen heim.«
6
Sie wurde von der Sonne geweckt, die ihr ins Gesicht schien. Sam gähnte, drehte den Kopf nach links und stellte überrascht fest, dass Chases Kopf nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht tief im Kissen vergraben. Der Schlafsack war nach unten gerutscht und enthüllte seinen nackten Oberkörper – die wunderbar muskulösen Schultern und den schlanken bronzefarbenen Rücken. Da hatten sie bereits so viel gemeinsam durchgestanden, und trotzdem hatte sie ihn bisher noch nie ohne Hemd gesehen.
Chases schwarzes Haar war zerrauft, der FBI-typische schnurgerade Scheitel verschwunden. Seine leicht geöffneten Lippen wirkten blass zwischen den dunkel glänzenden Bartstoppeln. Im Schlaf waren seine Gesichtszüge weicher. Man konnte sich leicht vorstellen, wie er ausgesehen haben musste, bevor Entführer, Erpresser und Bankräuber ihn die Realität des Lebens gelehrt hatten. Aber es fiel ihr nach wie vor schwer, ihn sich als Buchhalter vorzustellen – diesen Beruf hatte er vor seiner Tätigkeit beim FBI ausgeübt. Sam drückte den Ellbogen in die Matratze und stützte den Kopf auf.
Chase öffnete die Augen, und sofort huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Guten Morgen.« Seine Stimme klang rau. Er drehte sich auf den Rücken und streckte die Arme nach hinten über den Kopf. Dabei glitt sein nacktes Bein unter der Decke an ihrem entlang, was sie verblüfft zusammenzucken ließ. Er hatte ihre Schlafsäcke aneinandergezippt!
So unauffällig wie möglich ließ sie die Hand in ihren Schlafsack hinuntergleiten. Sie trug T-Shirt, BH und Unterhose. Chase blickte sie an, und sie verfluchte die Röte, die sich auf ihren Wangen ausbreitete.
Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Wie fühlst du dich heute Morgen?«
»Okay«, murmelte sie. ›Verwirrt‹ hätte es besser getroffen.
»Wie geht es deinem Kopf?«
Anscheinend erstaunlich gut. Sie versuchte sich zu erinnern, was in der vergangenen Nacht passiert war, aber sie wusste nur noch, dass sie Wein getrunken, Schmerztabletten genommen und sich an seine Brust zurückgelehnt hatte, danach war alles weg. Sie wandte den Blick ab. »Äh, letzte Nacht … habe ich?«
»Immer noch Schwierigkeiten mit dem Sprechen?« Seine dunklen Augen funkelten verdächtig in seinem ausdruckslosen Gesicht.
Verdammter Klugscheißer!
»Du hast gesagt, ich sei klasse.« Er sagte das in genau jenem Tonfall, in dem Lili immer sprach, und klimperte dazu auch noch mit den Wimpern.
»Wann genau habe ich das gesagt?« Hatte sie endlich mit Chase geschlafen – und konnte sich jetzt nicht mehr daran erinnern?
Sein Gesicht nahm einen schmerzlichen Ausdruck an. »So leicht hast du das vergessen?«
Ihre Wangen brannten. »Nun ja, ich …« Sie konnte sich noch erinnern, dass sie ihn gern geküsst und ihn gern nackt gesehen hätte, aber sie konnte sich nicht erinnern, dass eins von beidem geschehen war.
Er legte die Hand an das Kinn und richtete den Blick auf seine Füße. »Oh Mann«,
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