Summer Westin: Todesruf (German Edition)
Bewusstsein war. »Du siehst doch nirgendwo ein Feuer, oder?«
Er zog sie wieder hinunter auf den Boden und setzte sich so hinter sie, dass seine langen Beine rechts und links von ihren lagen. »Gleich«, murmelte er ihr ins Ohr. Er roch so gut. Eine Spur Holzfeuer, ein Hauch von Zitrus-Aftershave, ein bisschen Schweiß – so männlich. Sanft und doch fest knetete er die steifen Muskeln an ihrem Hals bis zu ihren schmerzenden Schultern.
»Chase, habe ich dir jemals gesagt, dass du echt klasse bist?« Am liebsten hätte sie geschnurrt wie eine Katze.
Sie lehnte sich gegen seine Brust und schloss die Augen.
Das Rushing Springs Roadhouse war kühl und dunkel, genau wie Kneipen Ernest Craigs Meinung nach zu sein hatten. An einigen Stellen blätterte der Lack des Eichentresens ab, doch die Oberfläche war sauber. Im Roadhouse herrschte eine angenehme Ruhe, bis auf den leise gestellten Fernseher und das gelegentliche Klacken der Kugeln auf einem der Billardtische im hinteren Teil der Kneipe. Ernest hasste diese Spelunken, wo man über die Musik hinwegbrüllen musste, wenn man dem Menschen neben sich Guten Tag sagen wollte. Außerdem war dies die einzige Kneipe, die er zu Fuß erreichen konnte, und die Batterie seines alten Kombis war mindestens so tot wie die Maus in der Falle unter seiner Küchenspüle.
Abgesehen von den beiden Billardspielern gab es nur zwei weitere Gäste, die beide am Tresen hockten. Ernest setzte sich auf den Barhocker neben den Mann, der genauso graues Haar hatte wie er. Mit seinem Bart, dem pockennarbigen Gesicht und der Baseballkappe wirkte er ansprechbarer als der junge Mann mit Sakko und Krawatte. Ernest hätte nicht gewusst, was er mit einem Yuppie hätte reden sollen. Stöhnend hievte er sein krankes Bein auf die Chromfußstützen des Hockers.
»Wie geht’s, Ernest?« Der Barkeeper war ein angegrauter, magerer Typ namens … Rob? Hatte er sich das richtig gemerkt? Nein, das konnte nicht ganz stimmen. Im Licht hinter dem Tresen wirkte die Haut des Barkeepers grau. Manchmal fragte Ernest sich, ob der Mann im Tageslicht wohl gesünder aussah, aber er hatte ihn noch nie außerhalb der Kneipe getroffen.
»Das Übliche.« Ohne einen Whiskey konnte er keine Höflichkeitsfloskeln durchstehen. Der Schmerz in seinem Bein brannte wie ein heißes Messer. Sobald der Barkeeper ihm seinen Whiskey hinstellte, kippte Ernest die Flüssigkeit hinunter. »Noch einen.«
Aus seinen traurigen Augen musterte ihn der Barkeeper. Er ähnelte einem Bassett, den Ernest mal besessen hatte. Plötzlich fiel ihm wieder ein, wie der Typ hieß. »Keine Sorge, Bob«, sagte er. »Ich habe genug Kohle.«
Den nächsten Whiskey trank er langsamer und genoss jeden Schluck. Sein Bein fühlte sich bereits ein bisschen besser an, und allmählich konnte er sich auf den Grund seines Kommens konzentrieren. »Ehrlich gesagt, Bob, geht es mir heute nicht sonderlich gut. Ich bin auf der Suche nach meiner Tochter. War sie zufällig hier?«
Bob schob einen Lappen in ein frisch gespültes Schnapsglas und rieb die Wasserflecken weg. »Allie? Die kommt nicht hierher, Ernest. Das wissen Sie doch. Ist sie verschwunden?«
»Sieht so aus. Ich mache mir Sorgen. Sie hat einen guten Job gefunden, bei einem Landschaftsarchitekturbüro drüben in Seattle, wo sie richtig Geld verdient.« Sie war so froh, endlich eine Stelle zu haben, für die sie mehr als nur den Mindestlohn bekam. Es war Allies Geld, von dem Ernest die meisten seiner Whiskeys bezahlte, doch das ging niemanden etwas an. »Während der Woche bleibt sie dort, nur freitagabends kommt sie immer nach Hause und verbringt das Wochenende mit ihrem Vater. Aber als ich heute Morgen aufgestanden bin, war ihr Bett unbenutzt. Ich habe schon unten im Lebensmittelladen und im Quik Stop gefragt, aber da war sie auch nicht.«
Bob stellte das Glas auf ein Tablett und nahm sich ein anderes vor. »Hat sie einen Freund?«
Ernest schnaubte. »Wenn man den als Freund bezeichnen kann. Ihm gehört die kleine Schreinerei in der Nähe vom Highway.« Mit der Hand fuhr er sich durch das lockige Haar, das inzwischen ganz schön lang geworden war. Er würde bald zum Friseur gehen oder aber es zu einem Pferdeschwanz zusammenbinden müssen.
Bob, der inzwischen alle Gläser poliert hatte, öffnete eine Schranktür und stellte das Tablett auf eins der Regalbretter. »Da haben Sie’s«, sagte er.
»Da habe ich was?« Warum konnte dieser Mann sich nicht klarer ausdrücken?
»Vermutlich hat sie die Nacht bei
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