Summer Westin: Todesruf (German Edition)
zu beiden Seiten an Lisas Nacken entlang bis hinunter in ihr Krankenhaushemd. Kabel, die zu den Monitoren führten. Das Mädchen zuckte vor Sams suchenden Fingern zurück. Sam ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. »Wir haben Ihre Tante in Philadelphia angerufen, aber wir konnten sie noch nicht erreichen. Gibt es sonst jemanden, den wir verständigen sollten? Wollen Sie selbst jemanden anrufen? Ich könnte den Hörer für Sie halten.«
Lisa lag so still da, dass Sam schon dachte, sie hätte sie nicht gehört, doch dann schüttelte das Mädchen den bandagierten Kopf und fuhr sich mit der Zunge über die mit Blasen übersäte Unterlippe.
»Haben Sie Durst?«
Mit zusammengepressten Lippen bewegte Lisa den Kopf ganz leicht auf und ab. Armes Ding. Vermutlich litt sie höllische Schmerzen.
Sam goss aus dem Krug auf dem Nachttisch ein Glas Wasser ein und hielt Lisa den gebogenen Strohhalm an die Lippen. »Können Sie sich erinnern, was passiert ist?«
Das Mädchen schluckte qualvoll, sog noch einmal an dem Strohhalm und antwortete dann kaum hörbar: »Nein.«
Sam erzählte ihr von dem lauten Knall und dem Feuer, und wie Mack sie mit dem Gesicht nach unten im Matsch neben dem Elk Creek gefunden hatte. Das Mädchen wandte den Blick nicht eine Sekunde von ihr ab. Blinzelte sie denn nie? Vielleicht konnte Lisa doch nicht hören, was Sam sagte, vielleicht las sie ihr alles von den Lippen ab.
Sie sollte die Krankenschwester rufen. Aber wie lange würde Lisa bei Bewusstsein bleiben? Sam hatte Angst, sie allein zu lassen.
»Erinnern Sie sich an das Feuer?«, fragte sie.
Wieder das kaum wahrnehmbare Nicken.
»Was haben Sie am Marmot Lake gemacht, Lisa?«
Lisas Blick blieb noch einen Moment länger auf Sams Gesicht gerichtet, dann wandte sie ihn ab.
»Haben Sie Feuerwerkskörper gezündet? Wenn ja, ist das okay, aber Sie müssen es mir sagen.«
Lisa schien nachzudenken. Oder versuchte sie, sich zu erinnern? Vielleicht überlegte sie auch, was sie erzählen sollte. Ein weißer Kittel huschte auf dem Gang vorüber, und Sam dachte schon daran, ihm hinterherzujagen. Doch in diesem Moment sah das Mädchen sie wieder an und flüsterte mit heiserer Stimme durch die geschwollenen Lippen hindurch: »Entführt.«
Entführt? Sam überkam das kaum zu bezähmende Bedürfnis, Lisa an den Schultern zu packen und die Geschichte aus ihr herauszuschütteln. Sie legte die Hände auf das Bettgitter und holte tief Luft. Langsam. Mach ihr keine Angst. »Sie wurden entführt, Lisa?«, wiederholte sie.
»Haben mich gezwungen.«
»Wer? Warum?«
Lisas Blick war auf die Zwillingshügel gerichtet, die von ihren Füßen unter der Bettdecke geformt wurden. Ihre Brust hob sich, als sie tief Luft holte. Die blauen Augen klappten zu.
»Mehr werden Sie im Moment nicht aus ihr herausbekommen.«
Die tiefe Stimme ließ Sam hochfahren. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass der Arzt in der Tür stand. Ein gut aussehender Mann, dessen silberfarbene Koteletten im auffälligen Kontrast zu seiner walnussbraunen Haut und seinen dichten schwarzen Locken standen. Er trat ins Zimmer.
»Haben Sie gehört, was sie gesagt hat?«, fragte Sam.
»Irgendetwas von gezwungen werden.« Er stellte sich neben sie und sah auf Lisa hinunter. »Ich bin überrascht, dass sie überhaupt gesprochen hat. Sie hätten sofort nach der Krankenschwester klingeln sollen.« Er beugte sich hinunter und schob Lisas Sauerstoffmaske wieder an die richtige Stelle. »Wieso haben Sie es nicht getan?«
»Ich konnte die blöde Klingel nicht finden.«
Der Arzt ließ die Hand über das Bettgitter gleiten und nahm ein winziges graues Rechteck mit einem erleuchteten Knopf herunter. »Sie ist am Gitter befestigt, damit sie nicht verloren geht.«
Jedenfalls wenn man wusste, wie das Ding aussah und dass es irgendwo befestigt werden konnte. »Aha«, murmelte Sam.
»Schien sie orientiert? Hat sie zusammenhängend geredet?«
»Sie hat nicht viel gesagt. Aber sie schien zu überlegen, während sie redete.« Tatsächlich kam es Sam so vor, als hätte Lisa zu lange überlegt, bevor sie etwas gesagt hatte.
»Hm. Ich würde nicht viel auf das geben, was zurzeit aus ihrem Mund kommt. Rauchvergiftung vernebelt den Leuten das Gehirn. Außerdem hat sie einen heftigen Schlag auf den Kopf bekommen. Wissen Sie, womit sie getroffen wurde?«
»Sieht so aus, als wäre es ein herabstürzender Ast gewesen.«
Der Arzt nickte, den Blick auf das Blatt vor ihm gerichtet. »Das würde zu den Rückständen passen,
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