Sumpffieber
Wiederverkäufer aus der Stadt verhandelt. Fand jemand in den Gewässern der Albufera eine verlorengegangeneReuse, ein treibendes Ruder oder sonstige Geräte zum Fischfang, so legte er sie am Fuß des Olivenbaums nieder, von wo sie der Eigentümer, der sie an der besonderen Marke als die seinigen erkannte, ohne weiteres abholen konnte.
Alle erörterten die bevorstehende Verlosung mit der bebenden Erwartung von Menschen, die ihre Zukunft dem blinden Ungefähr anvertrauen. Innerhalb einer knappen Stunde würde sich das Schicksal eines jeden für ein Jahr entschieden haben: Elend oder Überfluß. Hie und da sprach man in den Gruppen sehnsüchtig von den sechs besten Plätzen, den einzigen, die viel abwarfen, und die den zuerst gezogenen sechs Namen zufielen. Es waren die Plätze der Sequiota und die in ihrer nächsten Nähe liegenden – der Weg, auf dem die in stürmischen Nächten zum Meer flüchtenden Aale eine Beute der Netze wurden.
Auch die Erinnerung an zwei Glückspilze wurde wieder aufgefrischt, die in einer Nacht, als die vom Sturm gepeitschten Wellen den Boden der Albufera bloßlegten, sechshundert Arrobas in der Sequiota erbeuteten. Sechshundert Arrobas [1 Arroba = 25 Pfund.] zu zwei Duros ... Die Augen funkelten gierig. Aber einer sagte dem anderen diese Zahl nur leise ins Ohr aus Angst vor unberufenen Lauschern; denn mit einer ungewöhnlichen Solidarität lehrte man sie von klein auf, daß es zweckmäßiger wäre, sich über schlechte Erträgnisse zu beklagen, damit die Hacienda – jene unbekannte, gefräßige Dame – sie nicht mit neuen Abgaben peinigte.
Paloma sprach von vergangenen Zeiten, als nicht mehr als sechzig Fischer zur Genossenschaft gehörten.
»Wie viele sind wir jetzt?« erboste er sich. »Letztes Jahr nahmen schon mehr als einhundertfünfzig Mann an der Verlosung teil. Wenn das so weitergeht, wird es bald mehr Fischer als Aale geben und unser Privileg, das uns den anderen überlegen machte, nichts mehr wert sein.«
Beim Gedanken an die »anderen«, die Fischer von Catarroja, die mit denen von Palmar die Albufera teilten, wurde der Alte nervös. Er haßte sie – fast ebensosehr wie die Landarbeiter –, weil sie hochmütig betonten, daß sie von den allerersten Fischern am See abstammten.
»Und was trieben die von Palmar?...« hatte er die Rivalen von Catarroja ironisch gefragt.
Man mußte seine Entrüstung sehen, wenn er die Antwort wiedergab. »Oh, Palmar«, sagten sie, »war damals ein mit Palmen bewachsenes Inselchen – daher auch sein Name –, auf dem sich arme Besenbinder aus den Bergen ansiedelten.«
Der Alte schnaufte vor Grimm.
»Ha, wir, die besten Fischer am See, sollen von Besenbindern abstammen? ... Cristo! Aus weniger triftigem Grund gehen Männer mit dem Messer aufeinander los! Verdammte Lügen ... ich weiß Bescheid.«
Als er in jungen Jahren einmal Obmann der Genossenschaft gewesen war, mußte er als solcher den Schatz des Dorfes, das Archiv der Fischer, zu Hause aufbewahren – eine mit alten Folianten, Satzungen, Abrechnungen und Privilegien gefüllte Kiste, die seit Jahrhunderten von Hütte zu Hütte rollte und immer unter dem Bett versteckt wurde, als könnten die Feinde Palmars sie rauben. Und da Paloma nicht lesen konnte – zu seiner Zeit dachte man nicht an solche Sachen –, hatte er den damaligen Vikar gebeten, ihm die alten Pergamente zu entziffern.
»In uralten Zeiten schon schenkte uns der glorreiche Don Jaime den ganzen See. Dann kamen die Privilegien von Don Pedro, Doña Violante und Don Fernando, alles Könige und glückselige Diener des Herrn, die sich der Armen erinnerten. Der eine gab uns das Recht, Stämme zum Beschweren der Netze zu fällen; ein anderer erlaubte uns, das Garn mit der Rinde der Pinien zu färben. Kurz, alle ließen uns etwas zukommen. Dafür begnügten sie sich mit dem fünften Teil vom Fang, während die Hacienda – auch weiter nichts als eine moderne Erfindung der Menschen – alle drei Monate eine halbe Arroba Silber fordert, um uns auf einem See leben zu lassen, der unseren Vorfahren gehörte ... Gibt es anderswo eine solch uralte Organisation wie unsere Genossenschaft? ...«
Dieses Werk der Ahnen begeisterte ihn. Alles für alle! Nicht wie auf dem Lande, wo man die Erde verteilt, wo man Grenzen und Mauern zieht und jeder sagt: »dieses ist dein, dieses ist mein«, als gehörte nicht alles Gott, als könnte man, einmal gestorben, noch andere Erdschollen benötigen als die, welche den Mund für immer
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