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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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    »Bei uns hat jeder gleiches Recht: der Bummler aus Cañamels Taverne wie der Alkalde, der seine Aale weithin versendet und beinahe so reich geworden ist wie dieser Fettwanst von Wirt. Und für den Armen gibt es ein Fensterchen, wo das Glück nach Laune hereinschlüpfen kann. Ich war bei mehr alsachtzig Verlosungen, bekam einmal den fünften, einmal den vierten Platz – nie den ersten; aber ich beklage mich nicht, denn ich brauchte weder zu hungern, noch mußte ich mir den Kopf warm machen, um meinen Nächsten auszuziehen, wie das bei den Städtern üblich ist ... Und einmal im Jahr haben wir den großen, gemeinsamen Fischzug durch den ganzen See, dessen Ertrag gleichmäßig zwischen allen verteilt wird. So sollen die Männer miteinander leben, wie Brüder. Gott sieht uns ...
    Umsonst«, schloß der alte Paloma seine Ausführungen, »bat der Herr, als er auf Erden wandelte, nicht an Seen gepredigt, die mehr oder weniger wie die Albufera aussahen, und seine Jünger statt unter den Bauern unter Aal- und Schleifischern gewählt ...
    Während der Alkalde mit den Beisitzern am Kanal die Barke erwartete, die den Vertreter des Finanzministeriums bringen mußte, wuchs die Menge auf dem Kirchplatz immer mehr an, denn auch die Notabilitäten der Umgegend trafen ein, um die Feierlichkeit der Zeremonie durch ihre Gegenwart zu erhöhen. Gefolgt von einem robusten Burschen, der die Archivkiste auf der Schulter trug, erschien der Obmann, ein wenig später Padre Miguel in Soutane und Käppi.
    Auch Cañamel wohnte, trotzdem er als Zugewanderter kein Los ziehen durfte, stets dem festlichen Akte bei. Manchmal, wenn ein armer Teufel, der nur wenige Netze und einen kleinen Nachen besaß, den Platz an der Sequiota gewann, bot sich ihm die Möglichkeit, den Ausfall der Schmugglergeschäfte etwas wettzumachen.
    Neleta, in ihrem Sonntagsstaat einer Señorita aus Valencia ähnelnd, begleitete ihn, und sofort höhnte die Samaruca in einem feindseligen Chor über den hochgetürmten Haarknoten, das rosaseidene Kleid mit der silbernen Gürtelschnalle und über den »Geruch nach schlechtem Weib«. Die graziöse blonde Frau parfümierte sich sehr stark, seit sie über ein Vermögen verfügte, gerade, als wollte sie dadurch dem Dunst des Sees entgehen. Wie alle Frauen der Insel wusch sie selten ihr Gesicht, unterließ aber nie, eine dicke Puderschicht aufzulegen, und bei jedem Schritt atmeten ihre Kleider eine Moschuswolke aus, die von den Nasen ihrer Kunden glückselig eingeschnüffelt wurde. Plötzlich geriet die Menge in Erregung.
    »Sie kommen! ... Sie kommen!«
    An ihnen vorbei schritt der Alkalde mit dem Zeichen seiner Würde, dem quastengeschmückten Stock, seine Beigeordneten und der Delegierte desMinisteriums – ein armseliger, kleiner Beamter, den die Fischer jedoch in ihrer konfusen Vorstellung seiner ungeheuren Macht über die Albufera voller Bewunderung anschauten, aber auch mit heimlichem Haß: schluckte doch dieser Grünschnabel die halbe Arroba Silber!
    Langsam erklommen alle hintereinander die schmale Treppe. Rechts und links der Tür verwehrten zwei Zollwächter mit quergehaltenem Gewehr Frauen und Kindern den Eintritt. Manchmal indes wurde das Drängen der Buben so stark, daß die beiden ein paar derbe Schläge austeilen mußten. Oben hatten die Bänke nicht genügt; sogar auf den Balkons standen die Fischer eng nebeneinander. Die ältesten trugen die althergebrachte rote Mütze, andere das Kopftuch mit den lang über den Nacken hängenden Zipfeln oder den Strohhut aus Palmblättern. Neben Hanfsandalen gab es viele nackte Füße. Und von dieser schwitzenden, zusammengepferchten Masse stieg der feuchte, stickige Geruch von Wesen auf, die ewig im Schlamm leben.
    Auf dem Podest hatte das Pult des Lehrers dem Präsidententisch Platz gemacht. In der Mitte saß der Finanzbeamte, seinem Schreiber die Einleitung des Aktenstücks diktierend, und zu seinen beiden Seiten der Vikar, der Alkalde, der Obmann und andere Honoratioren, unter ihnen der Arzt von Palmar, ein armer Paria der Wissenschaft, der sich für sechs Reales zweimal in der Woche zum Dorf einschiffte, um die Fieberkranken in Bausch und Bogen zu kurieren.
    Vor dem Platz des Obmanns lagen die Rechnungsbücher der Genossenschaft, an Stelle der Buchstaben mit wunderlichen Hieroglyphen ausgefüllt. So war es von den des Schreibens unkundigen Vorfahren eingeführt worden, und dabei blieb man. Jedem Fischer gehörte ein Blatt. Doch stand nicht sein Name am Kopf der

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