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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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seinem Geschmack zu sein. Ein unermüdlicher Jäger, zog er sofort nach der Morgenmesse seine Hanfschuhe an, setzte eine Fellmütze auf und begab sich, von seinem Hunde gefolgt, in die Dehesa oder trieb sein Boot durch das Röhricht, um Wasserhühner zu schießen.
    »Man muß seine Lage ein wenig verbessern!« pflegte er zu äußern. Seine Besoldung betrug nur fünf Reales [Etwa eine Mark.] täglich, und er wäre ohne diese Flinte, die dank der Toleranz der Flurhüter seinen Tisch jeden Tag mit Fleisch versorgte, wie seine Vorgänger verurteilt gewesen, am Hungertuch zu nagen. Den Frauen imponierte es, daß dieser energische Seelsorger sie rauh, fast mit Hieben leitete; die Männer lobten sein schlichtes Wesen.
    Er war ein kriegerischer Pfarrer. Wenn der Alkalde eine Nacht in Valencia zubringen mußte, legte er seine Autorität in die Hände von Don Miguel, der, sehr glücklich über diese Metamorphose, den Zollwächter rufen ließ. »Sie und ich, wir beide sind jetzt die einzigen Behörden im Dorf. Wachen wir über ihm!«
    Und den Karabiner auf der Schulter, machten sie die ganze Nacht die Runde, säuberten die Schankstuben von den allzu beharrlichen Zechern und vergaßen nicht, bei ihren Rundgängen einige Male in der Sakristei anzuhalten, wo sie sich ein Gläschen Zuckerrohrschnaps gönnten. Das ging so fort, bis der Morgen graute und Don Miguel die Waffe und sein Schmugglergewand ablegte, um den Fischern die Messe zu lesen.
    Während des sonntäglichen Gottesdienstes stellte er, nach seiner Herde schielend, fest, wer am meisten ausspuckte, welche Gevatterin mit ihrer Nachbarin schwatzte, welche Jungens sich bei der Tür knufften, und wenn er sich dann zum Segen umdrehte, blitzte er die Schuldigen mit Augen an, die nichts Gutes verhießen. Er war es auch gewesen, der Sangonera mit Fußtritten aus der Kirche befördert hatte, als er ihn zum dritten oder vierten Male beim Trinken des für die Messe bestimmten Weines ertappte.
    Seine Moral war einfach – sie residierte im Magen. Wenn sich daher seine Pfarrkinder im Beichtstuhl wegen ihrer Sünden entschuldigten, legte er ihnen stets dieselbe Buße auf: »Ihr sollt mehr essen! Weil der Teufel euchso gelb und mager sieht, ist er hinter euch her. Wer Fett ansetzt, der sündigt nicht!«
    Verteidigte sich dann ein Beichtkind, indem es seine Armut ins Treffen führte, so wurde der Herr Vikar so ärgerlich, daß ein grober Fluch seinen Lippen entfuhr:
    »Recordons! ... Armut? Und dabei lebt ihr in der Albufera, dem besten Eckchen der Welt! Mir geht es mit meinen fünf Reales besser als einem Patriarchen ... Nicht mit einem Domherrn in Valencia tausche ich! Hat denn unser Herrgott diese dicken Schwärme von Bekassinen in der Dehesa umsonst geschaffen? Umsonst dies Gewimmel von Feldkaninchen und all das Federwild am See, das zu Dutzenden auffliegt, sobald man nur das Rohr bewegt? Wartet ihr vielleicht darauf, daß euch das Wildbret abgezogen oder gerupft in die Pfanne fällt? ... Da sitzt ihr wie Weiber stundenlang in eurem Boot, um Fische zu fangen, die nach Schlamm schmecken. Ah, mehr Liebe zur Arbeit und mehr Gottesfurcht! Ein richtiger Mann soll sich, Recordons! sein Leben mit Flintenschüssen erobern! ...«
    Nach Ostern, wenn ganz Palmar seinen Sack voll Sünden im Beichtstuhl entleert hatte, knallte es überall, im Walde wie auf dem See, und die Flurhüter rasten wie verrückt von einer Seite zur anderen, ohne zu ahnen, woher diese plötzliche Jagdwut rührte.
    An diesem Sonntage blieb die Menge nach der Messe auf dem kleinen Kirchplatz. Nicht wie sonst eilten die Frauen heim, um den Topf mit dem Mittagessen aufs Feuer zu setzen; sie folgten den Männern zur Schule, wo die Verlosung stattfinden würde. Außer Cañamels Taverne war die Schule das einzige zweistöckige Gebäude Palmars, in dem unten die Knaben und oben die Mädchen unterrichtet wurden. Durch die offenen Fenster des oberen Stockwerks sah man, wie der von Sangonera unterstützte Alguacil den Tisch mit dem Präsidentensessel aufstellte und für die Mitglieder der Genossenschaft sämtliche Schulbänke hereinschleppte.
    Die ältesten Fischer hatten sich unter dem schütteren Blattwerk des verkrüppelten Olivenbaums versammelt. Rings um diesen Baum, der von dem Hügelland der Küste hierher verpflanzt worden war, um in einem Schlammboden zu siechen, spielte sich das bürgerliche Leben der Einwohner ab. Unter seinen Zweigen wurden Fischereiverträge abgeschlossen, wurden Boote getauscht und die Aale an die

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