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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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Seite, sondern die Hausmarke, die er an seinen Booten und Netzen anbrachte: ein Kreuz, eine Schere, ein Entenschnabel, ein Halbmond ... Und der Schöffe brauchte nur einen Blick auf die Zeichen zu werfen, um gleich sagen zu können: »Hier ist die Abrechnung von dem und dem.« Auf dem Rest der Seite befanden sich nichts als Striche und wiederum Striche, jeder gut für einen Monatsbeitrag. Die alten Fischer priesen dieses Buchhaltungssystem, das jedem die Revision ermöglichte und bei dem Betrügereien ausgeschlossen waren, wie sie in diesen modernen, mit Zahlen und enger Kritzelei gefüllten Büchern, die nur für gebildete Herren verständlich sind, vorkommen.
    Der Obmann, ein pfiffig aussehender, vierschrötiger Fischer mit ganz kurz geschorenem Haar und unverschämten Augen, stand auf, räusperte sich und spuckte verschiedene Male aus, worauf die Honoratioren am Präsidententisch sich zurücklehnten und leise miteinander zu plaudern begannen, da nun interne Angelegenheiten der Genossenschaft zur Erörterung gelangten.
    »Caballeros!« begann der Schöffe, und sein herrischer Blick forderte Schweigen. Doch von unten herauf drang ein solcher Lärm, daß der Alkalde seinen Alguacil aussenden mußte, um Frauen und Kinder zur Ordnung zu rufen.
    »Caballeros! Klare Worte! Mich habt ihr zum Obmann gemacht, damit ich von jedem seinen Beitrag einziehe und alle Vierteljahre der Hacienda fünfzehnhundert Pesetas bezahle. Aber so wie bisher kann es nicht weitergehen! Viele Mitglieder sind ihre Beträge schuldig, und die besser Situierten müssen dafür aufkommen. Um solche Unordnung in Zukunft zu vermeiden, schlage ich vor, daß alle mit ihren Zahlungen im Rückstand Befindlichen von der Verlosung ausgeschlossen werden.«
    Ein Teil der Versammlung nahm diesen Vorschlag beifällig auf, verbesserten sich doch so ihre Aussichten, einen der guten Fischplätze zu erlangen. Aber die Mehrheit – alles Leute von armseligem Äußern – protestierte laut, so daß der Schöffe sich minutenlang nicht verständlich machen konnte.
    Als wieder Ruhe eintrat, erhob sich ein blasser Mann mit krankhaft glänzenden Augen.
    »Ich gehöre zu den Rückständigen, und vielleicht schuldet keiner so viel wie ich. Bei der vorjährigen Verlosung erhielt ich einen der schlechtesten Plätze, auf dem ich nicht einmal so viel fischte, um meine Familie ernähren zu können. Zweimal in einem Jahr stakte ich nach Valencia mit zwei Kindersärgen, weißen Särgen mit goldenen Kanten, für die ich mir erst Geld leihen mußte. Sie waren allerliebst – aber kann ein Vater weniger tun, wenn seine Kleinen für immer von ihm fortgehen? ... Sie starben, so sagte mir Padre Miguel, weil sie zu schlecht ernährt wurden! Dann packte mich wochenlang, monatelang die Terciana. Ich zahlte nicht, weil ich nicht konnte, und deswegen wollt ihr mir mein Recht auf das Glück nehmen?«
    Die Antwort auf seine langsam vorgebrachte, immer wieder von Fieberschauern unterbrochene Erklärung kam sofort.
    »Nein! Und nochmals nein!« rief eine energische Stimme.
    Paloma, helle Entrüstung in den blitzenden Äuglein, war aufgesprungen und wetterte los, jedes Wort mit Kernflüchen aus seinem Gedächtnisunterstreichend. Seine alten Freunde zupften an seinem Gürtel, um ihn auf seine Respektlosigkeit gegen die Señores am Präsidententisch aufmerksam zu machen. Doch der Greis wehrte sie unwirsch mit dem Ellenbogen ab.
    »Einen Dreck scheren diese Einfaltspinsel mich, der ich mit Königinnen und Helden verkehrt habe! ... Ich spreche, weil es mein Recht ist. Cristo! Ich bin der älteste Fischer vom See, aus meinem Munde sprechen eure Väter und Großväter, und was ich sage, hat Gewicht! Die Albufera gehört allen. Verstanden? Und es ist schamlos, einem Mann das Brot zu nehmen, weil er die Hacienda nicht bezahlt. Bedarf diese Dame vielleicht der elenden Pesetas eines Fischers, um zu Abend essen zu können? ...«
    Die letzte Bemerkung verwischte den peinlichen Eindruck, den die Klage des Fieberkranken hinterlassen hatte. Von den hinteren Bänken ertönte unterdrücktes Lachen.
    »Auch ich bin Obmann gewesen«, fuhr Paloma fort. »Damals hieß es: harte Faust gegen die Arbeitsscheuen, aber offene Hand für die Armen. Cordones! Nicht einmal Mauren würden so infam handeln! Wir sind Brüder, und der See gehört uns gemeinsam. Daher: alle Mann zur Verlosung!«
    Tonet gab das Signal zu dem lebhaften Beifall, während sein Großvater fast zusammenknickte unter zärtlich gemeinten, aber sehr

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