Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
beenden, solange ich mir noch sagen kann, dass nichts passiert ist. Ob richtig oder falsch, noch immer ging es mir weniger um das Schicksal der Welt als um die Angst, die Kontrolle über meine Wahrnehmungen zu verlieren. Und mit ihr die Kontrolle über meine Auffassung der Welt. Ich glaubte keine Sekunde an N.s Wahnvorstellung, aber diese Dunkelheit …
Ich wollte ihr keinen Zentimeter Raum lassen. Keinen Milli meter.
Ich hatte den Schlüssel zurück in den aufgerissenen Umschlag und diesen in die Hüfttasche gesteckt, aber die Plastiktüte hielt ich noch in der Hand. Ohne lange zu überlegen, hob ich sie vor die Augen und spähte durch sie hindurch auf die Steine. Sie waren ein wenig verzerrt und verschwommen, auch nachdem ich das Plastik glattgezogen hatte, aber trotzdem deutlich zu erkennen. Und tatsächlich, da waren es wieder acht. Und diese vermeintliche Dunkelheit …
Dieser Trichter
Oder Tunnel
… war verschwunden. (Natürlich war sie überhaupt nie da.) Mit einer leichten Beklommenheit, zugegebenermaßen, senkte ich die Tüte und starrte direkt hinüber zu den Steinen.Acht. Fest wie das Fundament des Tadsch Mahal. Acht.
Ich nahm den Feldweg und unterdrückte erfolgreich den Drang, noch ein weiteres Mal zurückzublicken. Warum hätte ich das tun sollen? Acht ist acht. Das wär doch gelacht. (Kleiner Scherz.)
Ich habe mich gegen den Artikel entschieden. Ich sollte diese ganze Geschichte mit N. endlich vergessen. Wichtig ist vor allem, dass ich wirklich dort war und mich – da bin ich mir völlig sicher – dem Wahnsinn gestellt habe, der in uns allen sitzt. Das gilt für die Dr. B.s dieser Welt genauso wie für die N.s. Ich war an der Front und habe dem Feind ins Auge gesehen. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich den Feind zeichnen oder, in meinem Fall, einen Aufsatz über ihn schreiben muss.
Und wenn es doch mehr war? Wenn sich einige Sekunden lang …
Na ja. Aber Moment mal. Das beweist doch nur die Kraft der Wahnvorstellung, die den armen N. gepackt hatte. Und erklärt seinen Selbstmord auf eine Weise, wie es kein Abschiedsbrief kann. Manche Dinge sollte man am besten auf sich beruhen lassen. Und das ist wahrscheinlich genau solch ein Fall. Diese Dunkelheit …
Dieser Trichter-Tunnel, diese vermeintliche …
Auf jeden Fall bin ich mit N. fertig. Kein Buch, kein Artikel. »Auf zu neuen Taten.« Der Schlüssel passt fraglos in das Schloss an der Kette vor dem Feldweg, aber ich werde ihn nie benutzen. Ich habe ihn weggeworfen.
»Und nun zu Bett«, wie der große Sammy Pepys selig zu sagen pflegte.
Heute Abendrot, Gutwetterbot über dem Feld. Auch Nebel über dem Gras? Vielleicht. Über dem grünen Gras, nicht dem gelben.
Der Androscoggin wird heute Abend rot sein und wie eine blutende Riesenschlange in einem toten Geburtskanal liegen. (Man stelle sich vor!) Das würde ich gern sehen, zugegeben. Warum, weiß ich auch nicht.
Das ist nur Müdigkeit, die morgen verschwunden sein wird. Morgen früh denke ich vielleicht sogar nochmal über den Artikel nach. Oder das Buch. Aber heute Abend nicht mehr.
Und nun zu Bett.
18. JULI 2007
Heute morgen den Schlüssel aus dem Müll gefischt und ihn in die Schreibtischschublade gelegt. Ihn wegzuwerfen, scheint mir zu sehr ein Eingeständnis zu sein, dass etwas an der Sache dran sein könnte. Also.
Na ja. Und außerdem: Es ist nur ein Schlüssel.
27. JULI 2007
Okay, ich geb’s zu. Ich habe ein paar Sachen gezählt und dafür gesorgt, dass ich gerade Zahlen um mich habe. Büroklammern. Die Stifte im Becher. Dergleichen Dinge. Das ist merkwürdig beruhigend. N.s Erkältung hat mich definitiv erwischt. (Kleiner Scherz, aber genau genommen kein Scherz.)
Mein Mentor als Psychiater ist Dr. J. in Augusta, der inzwischen Chefarzt im Serenity Hill ist. Ich rief ihn an, und wir führten ein allgemeines Gespräch über die Übertragung zwangsneurotischer Symptome von Patienten auf Therapeuten. Ich erzählte ihm, dass ich Recherchen zu einem für die Chicagoer Tagung im Winter geplanten Referat anstellte – eine Lüge natürlich, aber manchmal ist das eben das Einfachste. J. bestätigte meine Erkenntnisse. Das Phänomen ist nicht weit verbreitet, aber auch keine absolute Seltenheit.
»Da gibt es aber keinen persönlichen Zusammenhang mit dir, Johnny, oder?«, fragte er.
Scharfsinnig. Hellsichtig. Wie eh und je. Natürlich weiß er auch so einiges über meine Wenigkeit!
»Nein«, sagte ich. »Ich interessiere mich nur seit einiger
Weitere Kostenlose Bücher