Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
hat es sich angehört. ›Ea-o-en-eien, Ish!‹«
Wer von den beiden.Wer von den beiden,Trish.
Nachdenklich verstummt Harvey. Um seinen Kopf herum tänzeln die Sonnenstäubchen. Die Sonne macht sein T-Shirt so blendend weiß, dass es in den Augen sticht; ein T-Shirt wie aus der Waschmittelwerbung.
»Ich lag da und hab drauf gewartet, dass du reinstürmst, um nachzuschauen, was los ist«, sagt er schließlich. »Überall hatte ich Gänsehaut, ich hab gezittert und mir immer wieder gesagt, dass es nur ein Traum war, so wie man das eben macht, aber gleichzeitig war ich verblüfft, wie realistisch das alles war. Wie überwältigend, auf schreckliche Weise.«
Wieder unterbricht er sich und überlegt, was als Nächstes passiert ist, ohne zu bemerken, dass ihm seine Frau gar nicht mehr zuhört. Die frühere Jax konzentriert sich mit all ihrer nicht geringen Intelligenz darauf, sich einzureden, dass sie dort am Wagen kein Blut sieht, sondern nur die Grundierung, die durch die abgeschabte Farbe blinkt. »Grundierung« ist ein Begriff, den ihr Unbewusstes nur allzu bereitwillig ausspuckt.
»Ist es nicht erstaunlich, wie tief die Vorstellungskraft reicht?«, sagt er schließlich. »So wie mit diesem Traum muss es bei Dichtern sein – bei den ganz großen -, wenn sie ihr Gedicht vor sich sehen. Jede Einzelheit leuchtend hell und gestochen scharf.«
Er schweigt, und die Küche gehört der Sonne und den tänzelnden Stäubchen; die Welt draußen ist in Wartestellung. Janet späht hinüber zu dem Volvo auf der anderen Straßenseite. Dick wie ein Backstein scheint er in ihren Augen zu pulsieren. Als das Telefon läutet, möchte sie schreien, aber sie bekommt keine Luft, sie möchte sich die Ohren zuhalten, aber sie kann die Hände nicht heben. Sie hört, wie Harvey aufsteht und hinüber zum Apparat geht, als es ein zweites und dann noch ein drittes Mal klingelt.
Da hat sich jemand verwählt, denkt sie. Es muss so sein, denn wenn man seine Träume erzählt, werden sie nicht wahr.
Sie hört Harveys Stimme. »Hallo?«
AUS DEM AMERIKANISCHEN VON FRIEDRICH MADER
DER RASTPLATZ
Irgendwo zwischen Jacksonville und Sarasota musste er wohl eine literarische Version der alten »Clark Kent in der Telefonzelle«-Nummer abgezogen haben, auch wenn er sich nicht mehr erinnern konnte, wo und wie. Also war es vermutlich gar nicht so dramatisch. War es denn überhaupt von Bedeutung?
Manchmal redete er sich ein, dass die Antwort auf diese Frage Nein lautete – die ganze Rick Hardin/John Dykstra-Geschichte war nichts weiter als ein künstliches Konstrukt, reine PR. Ebenso wie Archibald Bloggert (oder wie auch immer er in Wirklichkeit geheißen haben mag) auch als Cary Grant aufgetreten war und Evan Hunter (der mit dem Namen Salvatore irgendwas geboren wurde) als Ed McBain geschrieben hat. Und diese Jungs hatten ihm schließlich Pate gestanden … zusammen mit Donald E. Westlake, der als Richard Stark hard-boiled Gaunerkomödien verfasste; und K.C. Constantine, der eigentlich … Nun ja, wie der richtig hieß, wusste eigentlich niemand, oder? Ähnlich war es auch mit dem rätselhaften Herrn B. Traven, dem Autor von Der Schatz der Sierra Madre . Keiner wusste es, und das machte es umso spannender.
Namen, Namen, was sind schon Namen?
Wer beispielsweise war er, wenn er alle zwei Wochen nach Sarasota zurückfuhr? Wenn er das Pot o’ Gold in Jax verließ, war er Hardin, ganz klar, ohne jeden Zweifel. Und Dykstra, wenn er sein am Kanal gelegenes Haus an der Macintosh Road aufschloss, ganz sicher. Aber wer war er, wenn er im Schein der grellen Straßenbeleuchtung auf der Route 75 von einer Stadt zur nächsten dahinschoss? Hardin? Dykstra? Überhaupt niemand? Gab es vielleicht einen magischen Augenblick, an dem sich der literarische Werwolf, der die fette Kohle verdiente, in den harmlosen Englischprofessor zurückverwandelte, der sich auf Lyriker und Romanciers des 20. Jahrhunderts spezialisiert hatte? Und spielte das überhaupt eine Rolle, solange er mit Gott, dem Finanzamt und den paar Footballspielern im Reinen war, die gelegentlich einen seiner beiden Einführungskurse belegten?
Südlich von Ocala war ihm das schließlich alles mehr als gleichgültig. Weniger gleichgültig dagegen war ihm, dass er schiffen musste wie ein Rennpferd, ganz egal, wer er gerade sein mochte. Im Pot o’ Gold hatte er sein übliches Limit (drei Bier) um zwei Gläser überschritten. Den Tempomaten des Jaguars hatte er auf 65 Meilen eingestellt, weil er keine Lust
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