Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
kann er sich nur ständig so besoffen ans Steuer setzen? Wenn er so weitermacht, fährt er nochmal jemanden tot.«
»Dann hat Trisha was von sich gegeben, was sich wie ›zei‹ oder ›Zeit‹ angehört hat, aber im Traum wusste ich sofort, dass sie einen Teil des Wortes verschluckt hat und dass sie ›Polizei‹ meint. Ich hab sie gefragt, was mit der Polizei ist, was sie mir über die Polizei erzählen will, und dann hab ich mich hingesetzt. Genau dort.« Er deutet auf den Stuhl beim Telefon. »Schweigen am anderen Ende. Schließlich ein paar von diesen halben Wörtern, von diesen geflüsterten halben Wörtern. Das hat mich ganz wütend gemacht, ich dachte, immer noch so melodramatisch wie früher, da hat sich nichts geändert. Aber auf einmal verstand ich ›Nummer‹, klar und deutlich. Und ich wusste – so wie kurz zuvor mit dem Wort ›Polizei‹ -, was sie mir sagen wollte: Die Polizei hat bei ihr angerufen, weil sie unsere Nummer nicht hatte.«
Janet nickt benommen.Vor zwei Jahren haben sie ihren Eintrag aus dem Telefonbuch löschen lassen, weil Harvey ständig von Reportern wegen des Enron-Skandals belästigt wurde. Meistens während des Abendessens. Nicht weil er etwas mit Enron direkt zu tun hatte, sondern weil die großen Energieunternehmen eines seiner Spezialgebiete waren.Vor einigen Jahren saß er sogar in einem Regierungsausschuss, damals, als Clinton noch der Macher und die Welt (ihrer bescheidenen Meinung nach wenigstens) ein wenig besser und sicherer war. Harvey hat bestimmt viele Seiten, die sie nicht mehr leiden kann, aber in einem Punkt ist sie sich völlig sicher: Er hat mehr Integrität im kleinen Finger als all diese Schleimbeutel von Enron zusammen. Auch wenn sie diese Integrität manchmal langweilig findet, weiß sie sie doch auch zu schätzen.
Aber hat die Polizei nicht die Möglichkeit, eine Geheimnummer rauszufinden? Nun, vielleicht ist es anders, wenn es schnell gehen und jemand dringend informiert werden muss. Außerdem kann man von Träumen keine Logik erwarten, oder? Träume sind Gedichte aus dem Unterbewusstsein.
Weil sie nicht mehr still stehen kann, tritt sie zur Küchentür und blickt hinaus in den strahlenden Junitag, hinaus auf die Sewing Lane, die sozusagen ihre und Harveys Miniausgabe des amerikanischen Traums darstellt. Wie ruhig alles daliegt, während auf dem Gras noch eine Milliarde Tautropfen funkeln! Unaufhörlich hämmert das Herz in ihrer Brust, und der Schweiß läuft ihr übers Gesicht, und sie möchte ihn zum Schweigen bringen, möchte, dass er aufhört, diesen schrecklichen Traum zu schildern. Sie muss ihn daran erinnern, dass Jenna ein Stück weiter die Straße runter wohnt – das heißt, Jen. Jen, die in der Videothek im Dorf arbeitet und sich viel zu oft am Wochenende mit Leuten wie Frank Friedman im Gourd betrinkt, Frank, der so alt ist, dass er ihr Vater sein könnte. Was zweifellos einer der Gründe ist, warum Jen ihn anziehend findet.
»Immer nur diese geflüsterten kurzen Halbwörter«, sagt Harvey nun, »sie konnte einfach nicht laut und deutlich sprechen. Dann habe ich das Wort tot gehört und wusste sofort, dass eins von den Mädchen gestorben ist.Trisha natürlich nicht, die war ja am Telefon, aber entweder Jenna oder Stephanie. Und ich hatte eine Scheißangst. Ich hab mir sogar überlegt, welche mir lieber wäre – tot, meine ich. Wie bei Sophies Entscheidung . Ich hab sie angeschrien: ›Sag mir, wer von den beiden! Wer von den beiden! Um Himmels willen, wer von den beiden, Trish!‹ Aber da ist schon die Realität eingesickert … wenn wir mal davon ausgehen, dass es so was überhaupt gibt …«
Harvey lacht leise auf, und im hellen Morgenlicht sieht Janet mitten in der Delle an Frank Friedmans Volvo einen roten Fleck, und mitten in diesem Fleck klebt noch etwas Dunkles, vielleicht Schmutz oder sogar Haare. Sie stellt sich vor, wie Frank um zwei Uhr morgens seinen Wagen schräg über den Bordstein geparkt hat, zu betrunken, um sich in die Auffahrt zu wagen, von der Garage ganz zu schweigen – eng ist die Pforte und schmal der Weg, und so weiter. Sie stellt sich vor, wie er schwer durch die Nase schnaufend mit gesenktem Kopf zum Haus gewankt ist.Viva ze bool.
»Inzwischen war mir klar, dass ich im Bett liege, aber da war diese tiefe Stimme, die überhaupt nicht wie meine geklungen hat, mehr wie die von einem Fremden, und diese Stimme hat irgendwie die Umrisse von den Wörtern nicht hingekriegt. ›Ea-o-en-eien, ea-o-en-eien‹ – ja, so
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