Sunset - King, S: Sunset - Just After Sunset
in ein so grelles Licht, dass die Ausfahrt wie ein Bühnenbild aussah. Er setzte den Blinker, bremste auf vierzig ab und fuhr von der Autobahn herunter.
Nach einem kurzen Stück teilte sich die Straße: Lastwagen und Wohnmobile nach rechts, Jaguars geradeaus. Bis zum Rastplatzgebäude waren es noch fünfzig Meter – ein flaches Ding aus beigefarbenem Schlackenstein, das in dem grellen Licht ebenfalls wie ein Bühnenbild wirkte. Was wäre es in einem Film? Die Kommandozentrale eines Raketensilos vielleicht? Klar, warum nicht. Ein Raketensilo weit draußen in der Pampa, und der befehlshabende Offizier leidet unter einer Geisteskrankheit, was er sorgfältig zu verbergen weiß, obwohl sie immer schlimmer wird. Er sieht überall Russen, sie kommen aus allen Löchern gekrochen … oder vielleicht besser Al-Qaida-Terroristen, das war eindeutig zeitgemäßer. Als potenzielle Bösewichte waren die Russen etwas aus der Mode gekommen, außer sie handelten mit Drogen oder schickten kleine Mädchen auf den Strich. Eigentlich war es egal, wer hier der Bösewicht war, schließlich war es nur ein Gedankenspiel, aber dem Typen juckt es trotzdem im Finger, auf den roten Knopf zu drücken, und …
Und Dykstra musste ganz dringend pinkeln, also leg deine Fantasie mal kurzzeitig auf Eis, alter Junge, und vielen Dank auch. Außerdem hatte der Hund in einer solchen Geschichte nichts verloren. Der Hund war eher ein Großstadtkrieger, wie er es im Pot o’ Gold vor gar nicht so langer Zeit formuliert hatte. (Nett ausgedrückt, wirklich.) Trotzdem, das mit dem verrückten Offizier im Raketensilo war keine schlechte Idee, oder? Ein gut aussehender Kerl … seine Leute lieben ihn … man merkt ihm rein gar nichts an …
Auf dem weitläufigen Parkplatz stand zu dieser Stunde nur noch ein anderer Wagen, einer dieser PT Cruiser, über die er jedes Mal den Kopf schütteln musste – sie sahen aus wie die Gangsterlimousinen aus den dreißiger Jahren, nur eben in Spielzeuggröße.
Er parkte vier oder fünf Standplätze weit weg, stellte den Motor ab und hielt einen Moment inne, um den Blick über den menschenleeren Parkplatz schweifen zu lassen. Er hielt nicht zum ersten Mal auf diesem speziellen Rastplatz, und einmal hatte er ebenso entsetzt wie belustigt zugeschaut, wie ein Alligator über den verlassenen Asphalt getapst und in den Zuckerkiefern jenseits des Rastplatzes verschwunden war; er hatte wie ein älterer, übergewichtiger Geschäftsmann ausgesehen, der zu einem Termin unterwegs war. Heute war nirgendwo eine Echse zu entdecken, also stieg er aus, hielt seinen Funkschlüssel über die Schulter und drückte auf den Knopf. Heute war er mit Mr. PT Cruiser allein. Der Jaguar zwitscherte gehorsam, und für einen Augenblick sah er seinen Schatten im Aufblitzen der Scheinwerfer … nur wessen Schatten war das? Dykstras oder Hardins?
Johnny Dykstras, entschied er für sich. Hardin war fort, er hatte ihn vor dreißig oder vierzig Meilen zurückgelassen. Aber immerhin war dieser heute an der Reihe gewesen, vor den anderen »Florida Thieves« nach dem Abendessen einen kurzen (und weitgehend humorvollen) Vortrag zu halten, und er fand, dass Mr. Hardin sich gut geschlagen hatte. Am Schluss hatte er damit gedroht, er würde jedem den Hund auf den Hals hetzen, der dieses Jahr nicht großzügig spendete. Sie sammelten für die »Sunshine Readers«, eine gemeinnützige Organisation, die blinde Schüler und Studenten mit Primär- und Sekundärtexten auf Hörkassette versorgte.
Er schlenderte über den Parkplatz zu dem flachen Gebäude hinüber, und die Absätze seiner Cowboystiefel klackten laut. John Dykstra hätte auf einer öffentlichen Veranstaltung niemals ausgeblichene Jeans und Cowboystiefel getragen, vor allem nicht, wenn er einen Vortrag halten musste, aber Hardin war da ganz anders drauf. Im Unterschied zu Dykstra (der recht pingelig sein konnte) war es ihm egal, was andere von seinem Äußeren hielten.
Das Gebäude war in drei Teile gegliedert: rechts die Damentoilette, links die Herrentoilette, und in der Mitte eine überdachte Terrasse, wo Broschüren über verschiedene Sehenswürdigkeiten Floridas auslagen. Außerdem standen dort ein Süßwarenautomat, zwei Getränkeautomaten und ein Münzautomat, in den man haufenweise Vierteldollarstücke werfen musste, wenn man eine Straßenkarte benötigte. Im kurzen, dunklen Eingangsbereich waren die Betonwände mit Plakaten übersät, auf denen nach vermissten Kindern gesucht wurde, was Dykstra
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