Super Sad True Love Story
in der Welt überhaupt noch Cafés gab, erst recht auf Staten Island. «Das würde ich zu gern sehen», sagte ich. «Wann genau passiert es?»
«Haben wir verpasst», sagte Noah. «Das war Ende Juni.»
«Dann eben nächstes Jahr», sagte ich.
Daraufhin verriet mir Noah – ganz die Medien-Drama-Queen –, dass er erwarte, nächstes Jahr um diese Zeit tot zu sein. Erzählte irgendwas von der Restaurationsregierung, den Überparteilichen, dem Preis von BioBenzin, demRückgang der Gezeiten – wer kann da eigentlich noch den Überblick behalten? Jedenfalls verdarb es die Wirkung seiner Schilderung vom Licht, das auf ganz bestimmte Weise die Avenuen beschien. Ich wollte ihm sagen, dass er sich meinetwegen nicht so anstrengen müsse, dass ich ihn genau so mögen würde, wie er sei: absolut überdurchschnittlich, wütend und trotzdem anständig, gerade klug genug. Ich dachte an Sammy, den Elefanten, im Zoo in der Bronx, seine gelassen deprimierte Miene, die Art und Weise, wie er gleichmütig und zugleich unaufdringlich verzweifelt der drohenden Auslöschung entgegensah. Womöglich darüber hatte Noah lamentiert, als er dem Licht quer durch die Stadt gefolgt war. Das verlöschende Licht sind wir, und für einen Augenblick – so kurz, dass er nicht mal auf den Displays unserer Äppäräte registriert wird – sind wir schön.
Von wegen Licht, einen leuchtenden Augenblick hatte ich auch mit Eunice diese Woche. Ich ertappte sie dabei, wie sie einigermaßen neugierig meine Bücherwand betrachtete, vor allem den verblichenen Umschlag der alten Taschenbuchausgabe eines Romans von Milan Kundera – eine schwarze Melone, die über dem Prager Stadtbild schwebt –, die beiden Zeigefinger erhoben, als wollte sie auf ihrem Äppärät KAUF MICH JETZT anklicken, die übrigen Finger um das Buch gelegt, so als erfreute sie sich an seinem Volumen und ungewöhnlichen Gewicht, an seiner relativen Stille und Bescheidenheit. Als sie mich näher kommen sah, schob sie das Buch rasch wieder ins Regal und zog sich auf das Sofa zurück, wo sie, die Wangen heftig errötet, an ihren Fingern nach dem Bucharoma schnüffelte. Doch ich wusste, die Neugier meiner widerstrebenden Satzschmiedin war geweckt, und vermerkte einen weiteren Triumph – den zweiten nach dem, wie ich fand, äußerst erfolgreichen Abendessen mit ihren Eltern.
Das Zusammenleben mit Euny verlief bisher ganz okay. Aufregend, manchmal verstörend. Wir stritten uns täglich. Sie gab nie nach. Eine Kämpferin bis zum Letzten. So bildet sich eine menschliche Persönlichkeit nach einem unglücklichen ersten Lebensabschnitt heraus. Die Unabhängigkeit des Erwachsenwerdens, des Einstehens für sich selbst, auch wenn es sich gegen einen Phantomfeind richtet.
Am meisten stritten wir uns über gesellschaftliche Verpflichtungen. Ihre Freundinnen vom Elderbird, die gerade wieder nach New York gezogen waren, reichten ihr völlig. Ganz anständige Mädchen, so schien es, überschäumend, aber ihrer selbst nicht sicher, scharf auf teure Dinge und irgendeine Form von Identität, alles durcheinanderbringend – vor allem aber hatten sie es mit dem Erwachsenwerden nicht besonders eilig. Eine von ihnen, die wirklich Nahrung zu sich nahm, kam beim Fickfaktor bloß auf magere 500+, darum gaben die anderen ihr Tipps zum Abnehmen. Ständig kniffen sie sie irgendwohin, beschmierten sie mit Cremes, bis sie traurig auf meiner Wohnzimmercouch vor sich hin glänzte, und wogen sie, als wäre sie ein preisverdächtiger Weißer Thunfisch an einem Kai in Tokio. Ein anderes Mädchen versuchte sich am neuerdings angesagten «Nackte Bibliothekarin»-Look – ihren Körper verhüllte praktisch nichts außer einer Brille, die so dick wie meine Sicherheitsverglasung war, was ich ziemlich albern fand, denn sogar eine erstklassige Bildungseinrichtung wie das Elderbird hatte vor kurzem seine real-existierende Bibliothek geschlossen, worauf zum Teufel also bezog das Mädchen sich? Dann betranken sie sich draußen auf unserem (unserem!) Balkon mit Rosé, diese süßen, aufgedunsenen, trunkenen Gesichter, und erzählten sich lange, im Kreis taumelnde Geschichten, die witzig sein sollten, aber stattdessen höchst verstörend waren, Erzählungen aus einer ordinären, oberflächlichenWelt, wo jeder ganz selbstverständlich jeden hinterging und enttäuschte und wo Frauen manchmal vor aller Augen angepisst wurden. Ich war gleichzeitig neidisch auf ihre Jugend und erschrocken, wenn ich an ihre Zukunft dachte. Kurz
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