Super Sad True Love Story
Stahlträger hundert Meter über uns glitzerten wie die Rippen eines furchterregenden Tiers. Ich glaube, hier hat sich früher der Sicherheitsrat versammelt, aber vielleicht irre ich mich da. Während meines Auslandsjahrs in Rom hatte Amerika offenbar in Sachen Betriebskosten dazugelernt und die traditionellen Shopping-Mallsgeschlossen. Diese sparsamen Konsumkorridore waren an die nordafrikanischen Basare aus grauer Vorzeit angelehnt, ihr Sinn und Zweck bestand einzig und allein im raschen Waren- und Dienstleistungsaustausch, nur ohne die widerhallenden Rufe der Verkäufer und die Ausdünstungen der Clementinen.
Eunice brauchte keinen Lageplan. Sie führte, und ich folgte ihr, vorbei an den Waren, die sich eher planlos in den endlosen Räumen stapelten, den Läden, die ineinander übergingen, Kleiderständer neben Kleiderständer neben Kleiderständer, jeder aus der Nähe in Augenschein genommen, bedacht, verworfen. Hier gab es die berühmten nippelfreien Saaami-BHs, die Eunice mir bei AssLuxury gezeigt hatte, und die legendären Mieder von Padma, die von der polnischen Pornoqueen bei AssDoctor getragen wurden. Wir blieben stehen und schauten uns bei JuicyPussy biedere sommerliche Cocktailkleider an. «Ich brauche zwei», sagte Eunice. «Eins für die Party bei deinem Chef und eins für diese Zicke Grace.»
«Bei meinem Chef ist es eigentlich keine Party», sagte ich. «Wir trinken zwei Gläser Wein und essen ein paar Möhren und Blaubeeren.»
Eunice ignorierte mich und machte sich an die Arbeit. Mit Hilfe ihres Äppäräts kriegte sie zunächst heraus, wie sich verschiedene Sachen weltweit verkauften. Dann ging sie zu einem Rundständer voller identisch aussehender schwarzer Kleider und klickte sich durch. Klick, klick, klick, ein Bügel schlug gegen den davor, ein Geräusch wie bei einem Abakus. Sie verweilte nicht länger als eine Sekunde bei jedem Kleid, doch jede dieser Sekunden schien mehr zu zählen als die Stunden, die sie den gleichen Waren online bei AssLuxury gewidmet hatte; jede einzelne eine Begegnung mit dem Wirklichen. Ihr Ausdruck war stählernkonzentriert, der Mund leicht geöffnet. Dies war die Qual der Wahl, der Kummer über ein geschichtsloses Leben, der Schmerz höherer Bedürfnisse. Ich stand in Demut vor dieser Welt, in Ehrfurcht vor ihrer Religiosität, vor dem Versuch, Bedeutung aus einem Gegenstand zu extrahieren, der vor allem aus Fäden gemacht war. Wenn Schönheit doch die Welt hinweg erklären, wenn ein nippelfreier BH doch alles wieder funktionieren lassen könnte.
«Entweder haben sie Größe 32 nicht da», sagte Eunice, als sie das letzte Sommerkleid von JuicyPussy wegklickte, «oder es hat so komische Stickereien am Saum. Die versuchen sich stilvoller zu geben als TotalSurrender, die immer diesen Schlitz im Schritt haben. Komm, gehen wir zu Onionskin.»
«Sind das nicht die durchsichtigen Jeans?», fragte ich. Ich stellte mir vor, wie Eunice mit entblößten Schamlippen und Hinterbacken die besonders belebte Delancey Street überquerte, sodass die Fahrer von Autos mit New-Jersey-Kennzeichen ungläubig die getönten Scheiben herunterließen. Instinktiv wollte ich ihre halbe Portion beschützen, aber gleichzeitig spürte ich auch den erotischen Reiz, ganz zu schweigen vom Sozialprestige. Andere würden ihren kleinen Landestreifen sehen und zu mir aufblicken.
«Nein, Dumpfbacke», sagte Eunice. «In solchen Jeans würde ich mich nicht mal tot erwischen lassen. Die machen auch ganz normale Kleider.»
«Ach so», sagte ich. Die Phantasie zerbarst, dennoch war ich mit dem biederen Mädchen an meiner Seite eigenartig glücklich. Wir schlängelten uns einen halben Kilometer zwischen Kleiderständern hindurch, ehe wir endlich die Onionskin-Kollektion fanden. Tatsächlich, da gab es mehrere Ständer mit Cocktailkleidern – ein bisschen gewagt am Ausschnitt, aber ganz gewiss nicht transparent. Müde,bedrückte Frauen wühlten sich durch das Flaggschiff der Marke, die durchsichtigen Jeans, die wie steife, leere Zwiebelhäute im Zentrum der Verkaufsfläche hingen.
Als Eunice begann, sich durch die Kleider zu klicken, kam eine Konsumangestellte herüber und sprach sie an. Mein Äppärät wich sofort den Datenauswürfen der anderen Kundinnen aus, die wie verschmutzte Wellen auf einen noch unberührten Strand trafen, und konzentrierte sich auf McKay Watson. Dieses Konsummädchen war wunderschön. Ein großgewachsenes Wesen mit Nofretete-Hals und klaren, wachen Augen, die von einheimischer
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