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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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«Kreativarbeitszimmer». Ich bemerkte, dass Eunice ihren Pinot schon fast ausgetrunken hatte und sich daran versuchte, das dunkle Rot von ihren Lippen mithilfe eines grünen Gels zu entfernen, das sie sich aus einer Tube auf den Finger drückte. «Das sind Bühnenfotos von meiner Einmannshow.» Joshie zeigte auf ein gerahmtes Image von sich in gestreifter Gefängniskleidung, ein riesiger ausgestopfter Albatros hing ihm am Hals. So wie er vor mir stand, sah er dreißig Jahre jünger aus als auf dem Image, das mindestens zehn Jahre alt war. Er hatte also vierzig Jahre abgeschüttelt. Ein halbes Leben.
    «Das Stück hieß
Die Sünden der Mutter
», half ich weiter. «Sehr witzig und sehr tiefsinnig.»
    «Lief es am Broadway?», fragte Eunice.
    Joshie lachte. «Ja, klar», sagte er. «Ist nie über den beschissenen Supper Club im Village hinausgekommen. Aber Erfolg hat mich kein bisschen interessiert. Kreatives Denken, geistiges Arbeiten, das ist meine allererste Empfehlung für ein langes Leben. Wenn man aufhört zu denken, aufhört zu staunen, dann stirbt man. So einfach ist das.» Er schaute auf seine Füße, weil ihm vielleicht auffiel, dass er sich eher wie ein Vertreter als wie ein Unternehmensführer anhörte. Ich stellte fest, Eunice machte ihn nervös. Bei den Posthumanen Dienstleistungen gab es nicht wenige attraktiveFrauen, aber ihr selbstsicheres Auftreten ließ sie alle zu einem Charaktertyp verschmelzen. Und überhaupt hatte Joshie immer gesagt, für Romantik habe er erst dann Zeit, wenn die Unsterblichkeit «unter Dach und Fach» sei.
    «Haben Sie das selber gemalt?», fragte Eunice und deutete auf ein Aquarell einer alten, nackten Frau, die von einer unsichtbaren Kraft in drei Teile gerissen worden war, die leeren Brüste flogen in verschiedene Richtungen, der dunkle Schamhügel hielt die Drittel in der Mitte zusammen.
    «Sehr schön», sagte ich. «Frei nach Egon Schiele.»
    «Es heißt
Splittergruppe
», sagte Joshie. «Davon habe ich ungefähr zwanzig Fassungen gemalt, die alle genau gleich aussehen.»
    «Die ähnelt Ihnen irgendwie», sagte Eunice. «Mir gefällt die Schattierung um die Augen.»
    «Na ja   …» Joshie ließ ein schüchternes Räuspern hören. Mir war es immer ein wenig peinlich, Joshies Bilder von seiner Mutter anzuschauen, so als wäre ich ins Bad geplatzt und hätte meine Mutter dabei erwischt, wie sie gerade ihren müden Hintern von der Klobrille hob. «Malen Sie auch?»
    Eunice hüstelte. Sie setzte ihr Großes-Unwohlsein-Lächeln auf, die Scham ließ ihre Sommersprossen deutlicher hervortreten. «Ich habe einen Kurs belegt», hauchte sie kaum hörbar. «Am Elderbird. Einen Zeichenkurs. Aber das war nichts. Ich hatte es nicht drauf.»
    «Wusste ich ja gar nicht», sagte ich. «Dass du einen Zeichenkurs belegt hast.»
    «Weil du mir nie zuhörst, Dumpfbacke», flüsterte sie.
    «Ich würde zu gern eine von Ihren Zeichnungen sehen», sagte Joshie. «Das Malen vermisse ich. Es hat mich echt ruhig werden lassen. Vielleicht können wir uns ja mal zusammentun und ein bisschen üben.»
    «Oder du könntest Kurse an der Parsons belegen», sagteich zu Eunice. Mir vorzustellen, wie die beiden – lebendig und unsterblich – gemeinsam etwas erschufen, ein Image, ein «Kunstwerk», wie man früher sagte, erfüllte mich mit Selbstmitleid. Hätte ich doch auch die Neigung, zu malen oder zu zeichnen. Wieso litt ich an dieser uralten jüdischen Krankheit der Worte?
    «Vielleicht können wir ja
beide
Kurse an der Parsons belegen», sagte Joshie zu Eunice. «Zusammen, ja?»
    «Aber wer hat schon Zeit dafür?», warf ich ein.
    Wir kehrten ins Wohnzimmer zurück, und Joshie und Eunice landeten auf einem gemütlichen, kurvigen Sofa, während ich mich gegenüber auf einer ledernen Ottomane krümmte. «Cheers», sagte Joshie und stieß seinen Becher gegen Eunice’ schönes, langstieliges Glas. Sie lächelten einander an, dann wandte Eunice sich mir zu. Ich musste von der Ottomane aufstehen und zu ihnen gehen, um dem Ritual Genüge zu tun. Dann musste ich mich wieder hinsetzen. Allein.
    «Cheers», sagte ich und zerschlug beinahe Joshies Becher. «Auf die Menschen, die ich am meisten liebe.»
    «Auf Frische und Jugend», sagte Joshie.
    Sie fingen an, sich zu unterhalten. Joshie fragte sie nach ihrem Leben aus, und sie antwortete wie immer ausweichend – «Klar», «Kann sein», «Irgendwie schon», «Vielleicht», «Hab ich versucht», «Ich bin da nicht so gut drin», «Hab ich nicht drauf». Aber

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