Super Sad True Love Story
sie freute sich, einbezogen zu werden, war aufmerksamer, als ich sie je gesehen hatte, hielt mit einer offenen Hand einen Strang Haare, der von ihrer Schulter fiel. Sie wusste nicht, wie man sich richtig mit einem Mann unterhält, ohne zu flirten oder wütend zu werden, aber sie versuchte es, filterte Informationen, gab so wenig wie möglich preis, wollte aber auch gefallen. Gelegentlich sah sie mich besorgt an, die Augen zusammengekniffen,weil ihr der Zwang zum Denken und Reagieren Mühe bereitete, doch die Sorge wich, als Joshie mehr Wein nachschenkte – wir waren inzwischen alle über das Resveratrol-Maximum von zwei Gläsern hinaus – und ihr einen Teller mit Blaubeeren und Möhren hinstellte. Er schlug vor, in einer Kanne grünen Tee auch etwas Gras aufzugießen, was ich ihn schon seit Jahren nicht mehr hatte tun sehen, doch Eunice entgegnete höflich, sie konsumiere kein Marihuana, weil es sie, paradoxerweise, traurig mache.
«Ich hätte nichts dagegen», sagte ich, aber das Angebot war offensichtlich schon vom Tisch.
«Wieso nennen Sie Lenny ‹Rhesusäffchen›?», fragte Eunice.
«Weil er wie eins aussieht», sagte Joshie.
Eunice ließ ihren Äppärät rotieren, und als das fragliche Tier auf dem Display auftauchte, warf sie den Kopf zurück und lachte, wie ich sie nur mit ihren ältesten Freundinnen vom Elderbird hatte lachen sehen, ausgelassen und unverstellt zugleich. «Total», sagte sie. «Diese langen Arme und diese irgendwie geknautschte Mitte. Es ist so schwer, für ihn Klamotten kaufen zu gehen. Ständig muss ich ihm beibringen, wie man sich …» Sie konnte es nicht ausdrücken, streckte zur Demonstration die Arme aus.
«Anzieht», brachte ich den Satz zu Ende.
«Aber er lernt schnell», sagte Joshie, sah sie an und angelte abwesend nach einer zweiten Flasche Wein, die ergeben zu seinen Füßen wartete. Ich hielt meinen Becher zum Auffüllen hin. Wir tranken mehr und mehr. Ich streckte mich auf der ledernen Ottomane aus und staunte, wie wenig Joshie sich offenbar um seine Einrichtung scherte. Seit ich ihn kannte, hatte er kein einziges neues Möbelstück dazugekauft. In all den Jahren, allein und ohne Kinder, hatte er sich nie amerikanischer Überfülle hingegeben, sondernsich allein einer Idee verschrieben, die, Fleisch geworden, keinen halben Meter neben ihm saß, auf einem angewinkelten Bein, Zeichen dafür, dass ihr Unwohlsein schwand. Etwas konnte Joshie immer ausstrahlen: Er würde einem nicht wehtun. Sogar dann, wenn er es doch tat.
Sie führten ein Jugendlichengespräch: AssDoctor, Mädchenlecken, Phuong «Heidi» Ho, der neue vietnamesische Pornostar. Sie verwendeten Wörter wie «Arschnutte» und Teenager-Abkürzungen wie TGV und ICE, bei denen man an europäische Hochgeschwindigkeitszüge denken musste. Der faltenfreie, vom Wein erhitzte Joshie, dessen Körper von neuen Muskeln und gehorsamen Nervenenden durchzogen war, neigte sich vor wie eine Rakete im Parabelflug, sein Hirn wahrscheinlich geflutet von jugendlichen Instinkten, dem Bedürfnis, um jeden Preis Kontakt aufzunehmen. Mir stellte sich die ketzerische Frage, ob er das Ältersein jemals vermissen, ob sein Körper sich je nach einer Geschichte sehnen würde.
«Ich möchte sehr gern zeichnen, aber ich kann es einfach nicht», sagte Eunice gerade.
«Ich wette, Sie können es doch», sagte Joshie. «Sie haben so viel – Stilgefühl. Und ein Gespür für Ökonomie. Das merke ich schon, wenn ich Sie nur ansehe!»
«Eine Lehrerin am College hat gesagt, ich wäre gut, aber das war bloß so eine Lesbe.»
«Verdammt, wieso kritzeln Sie nicht einfach mal schnell was hin?»
«Auf gar keinen!»
«Aber total. Los. Ich hole Papier.» Er stemmte die Fäuste ins Sofa, drückte sich hoch und rannte ins Arbeitszimmer.
«Warten Sie», rief sie ihm nach. «Heilige Scheiße.» Sie wandte sich zu mir. «Ich hab viel zu viel Schiss, was zu zeichnen, Len.» Aber sie lächelte. Sie spielten ein Spiel.Wir waren betrunken. Sie rannte hinter Joshie her, und ich hörte einen jähen jugendlichen Aufschrei – ich hätte kaum sagen können, wer von beiden ihn ausgestoßen hatte. Ich ging zum leeren Sofa und setzte mich auf den Platz, der eben noch Joshies gewesen war, und kostete die Wärme aus, die mein Herr und Meister hinterlassen hatte. Es wurde dunkel. Vorm Fenster erkannte ich Wassertürme und die schmucklosen Rückseiten einstmals hoher Gebäude, die zu dem Glas-und-Beton-Gitternetz überleiteten, das den Hudson zu beiden Seiten wie
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