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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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ein schmutziger Doppelspiegel säumte. Mein Äppärät lieferte geduldig Informationen zu verschiedenen Immobilientaxierungen und verglich sie mit denen in HSB C-London oder Shanghai. Ich setzte die Weinflasche an die Lippen und ließ das Resveratrol durch meinen Stoffwechsel strömen, betete für ein paar zusätzliche Jahre auf der Countdownuhr meines Lebens. Joshie kam zurück ins Wohnzimmer. «Sie wollte mich nicht zusehen lassen», sagte er.
    «Sie zeichnet tatsächlich?», fragte ich. «Mit der Hand? Nicht auf dem Äppärät?»
    «Ja, verdammt, Homie! Kennst du deine eigene Freundin so schlecht?»
    «In meiner Gegenwart ist sie immer so bescheiden», sagte ich. «Nur zur Info, kein Mensch sagt mehr ‹Homie›, Grizzly.»
    Joshie zuckte die Achseln. «Jugend ist Jugend», sagte er. «Wie ein Junger reden heißt wie ein Junger leben. Wie sehen eigentlich deine p H-Werte aus?»
    Mit roten Wangen, aber glücklich kam Eunice aus dem Arbeitszimmer, hielt einen Skizzenblock an die Brust gepresst. «Ich kann nicht», sagte sie. «Es ist zu blöd. Ich werde es zerreißen!»
    Wir erhoben angemessen Protest, überboten einander mitunserem donnernden Bariton; Joshie knallte seinen Becher wie ein ungehobelter Verbindungsbruder auf den Tisch. Schüchtern, wenn auch mit einem Anflug von Koketterie, die sie sich wahrscheinlich in einer alten Fernsehserie über junge Frauen in Manhattan abgeschaut hatte, reichte sie ihm den Skizzenblock.
    Sie hatte einen Affen gezeichnet. Ein Rhesusäffchen, wenn ich mich nicht irrte. Eine gewölbte, graubehaarte Brust, lange, herzförmige Ohren, ganz dunkle kleine Pfoten, die sich gerade noch so an einen Ast klammerten, oben auf dem Kopf ein grauer Haarwirbel, darunter drückte die Miene spielerische Intelligenz und Zufriedenheit aus. «Wie akribisch», sagte ich. «Wie detailliert. Guck dir diese Blätter an. Du bist wunderbar, Eunice. Ich bin wirklich beeindruckt.»
    «Sie hat dich gut getroffen, Len», sagte Joshie.
    «Mich?» Noch einmal sah ich dem Affen ins Gesicht. Die roten, rissigen Lippen und die wuchernden Stoppeln. Die übertriebene Nase, glänzend an Spitze und Rücken, die frühen Falten, die sich zu den nackten Schläfen hinaufzogen; die buschigen Augenbrauen, die man für eigenständige Lebewesen halten konnte. Wenn man das Bild aus einem anderen Blickwinkel betrachtete, wenn man den Block in den Halbschatten hielt, konnte die Zufriedenheit, die ich auf dem etwas dicklichen Gesicht des Affen zuerst entdeckt hatte, auch Verlangen sein. Es war ein Bild von mir. Als Rhesusäffchen. Verliebt.
    «Wow», sagte Joshie. «Das ist
so
medien.»
    Eunice fand es furchtbar und sagte, das würden Zwölfjährige besser können, aber ich sah, sie war nicht ganz überzeugt. Wir beide umarmten ihn zum Abschied. Er küsste sie eine ganze Weile auf die Wangen, dann schlug er mir rasch auf die Schultern. Er bot uns noch einen Digestif anund ein paar Erdbeeren aus dem Umland für den Weg. Er bot außerdem an, uns im Fahrstuhl nach unten zu begleiten und mit den Bewaffneten vorm Eingang zu reden. Er stand in der Tür, klammerte sich am Rahmen fest, sah uns bis zum Schluss nach. In diesem letzten Moment, im Augenblick des Gehenlassens, sah ich sein Gesicht im Profil und bemerkte den Zusammenfluss violetter Venen, der ihn einen Wimpernschlag lang wieder alt wirken ließ, ja ein erschreckendes Röntgenbild dessen zeigte, was unter dem schönen neuen Hautgewebe und den strahlenden jungen Augen brodelte. Der dämlich-männliche Schulterklaps reichte nicht. Ich wollte die Arme nach ihm ausstrecken, ihn trösten. Wenn Joshie bei seinem Lebenswerk scheitern sollte, wem würde dann eher das Herz brechen, dem Vater oder dem Sohn?
    «Siehst du, das war doch gar nicht mal so schlimm», sagte ich in der Limousine, als Eunice ihren süßen, nach Alkohol stinkenden Kopf an meine Schulter lehnte. «Hat doch Spaß gemacht, oder? Er ist ein netter Mann.»
    Ich hörte sie an meinem Hals gemäßigt atmen. «Ich liebe dich, Lenny», sagte sie. «Ich liebe dich so sehr. Ich wünschte, ich könnte es besser in Worte fassen. Aber ich liebe dich mit allem, was ich habe. Lass uns heiraten.» Wir küssten einander auf die Lippen, auf den Mund, auf die Ohren, während wir sieben Checkpoints der ARR passierten und den gesamten FDR Drive hinunterfuhren. Ein Militärhubschrauber schien uns bis nach Hause zu folgen, sein einzelner gelber Lichtstrahl strich über die weißen Schaumkronen vom East River. Wir sprachen darüber, in die

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