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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Wagen verpasst, den Joshie uns geschickt hatte, um uns die Anfahrt zur Upper West Side zu erleichtern. Schweigend kleideten wir uns an, und als ich in der glänzend neuen Hyundai-Limousine, die wahrscheinlich gerade ihre Jungfernfahrt absolvierte, ihre Hand ergreifen wollte, zuckte sie zusammen und schaute weg. «Du siehst wunderschön aus», sagte ich. «Dieses Kleid.»
    Sie schwieg.
    «Bitte», sagte ich. «Für Joshie ist es wichtig, dich kennenzulernen. Für mich auch. Sei einfach du selbst.»
    «Und wie soll das sein? Stumpf. Langweilig.»
    Wir durchquerten den Central Park. Bewaffnete Helikopter drehten über uns ihre Wochenendrunden, doch unten war der Verkehr entspannt und flüssig, und eine schwüle Brise wiegte die Spitzen der unvergänglichen Bäume. Ich musste daran denken, wie wir uns auf der Sheep Meadow geküsst hatten, am Tag, als sie bei mir eingezogen war, wie ich ihre winzige Gestalt hundert Herzschläge lang an mich gedrückt hielt und die ganze Zeit dabei dachte, der Tod sei nicht der Punkt.
    Joshies Wohnhaus lag an einer Straße zwischen der Amsterdam und der Columbus Street – ein zwölfstöckiges Gebäude mit Eigentumswohnungen, das abgesehen von den beiden Nationalgardisten, die rechts und links vom Eingang standen und Passanten mit ihren Gewehren vom Bürgersteig scheuchten, für die Upper West Side typisch war. An der Straßenmündung forderte uns ein Schild der ARR auf, seine Existenz zu leugnen und dem Ganzen zuzustimmen. Joshie hatte mir erzählt, die Leute überwachten ihn, aber selbst ich erkannte, dass sie ihm vielmehr Schutz gewährten. Auf meinem Äppärät erschien ein roter Punkt, begleitet von den Worten «WapachungKrise». Die Guten.
    Ein leutseliger, dicker Mann aus der Dominikanischen Republik in einer verblichenen grauen Uniform stand in der winzigen Lobby, und zusammen mit dem Atem, der sich mühevoll seiner Kehle entrang, füllte er sie völlig aus. «Hallo, Mr.   Lenny», sagte er zu mir. Früher hatte ich ihn ständig gesehen, damals, als Joshie und ich enger befreundet waren, als unsere Arbeit noch nicht alle Zeit in Anspruch nahm und wir ohne weiteres gemeinsam einen Bagel im Park aßen oder uns einen anstrengenden iranischen Film im Lincoln Center anschauten.
    «Hier hat früher die jüdische Intelligenz gewohnt, vor langer, langer Zeit», erzählte ich Eunice im Aufzug. «Ich glaube, deshalb gefällt es Joshie auch so gut hier. Ist so eine Art Nostalgie-Trip.»
    «Wer waren die denn?», fragte sie.
    «Wer?»
    «Die jüdische Intelligenz.»
    «Ach, bloß so Juden, die viel über die Welt nachdachten und dann Bücher darüber schrieben. Lionel Trilling und solche Leute.»
    «Haben die das Unsterblichkeitsunternehmen deines Chefs gegründet?», fragte Eunice.
    Ich hätte ihre kalten, rotgeschminkten Lippen küssen können. «In gewissem Sinne», sagte ich. «Sie kamen aus armen, zählebigen Familien und hatten eine realistische Einstellung zum Tod.»
    «Siehst du, genau deshalb wollte ich nicht mitkommen», sagte Eunice. «Weil ich keine Ahnung von alldem habe.»
    Die altmodischen Lifttüren öffneten sich symphonisch. Vor Joshies Tür zerrte ein muskulöser junger Mann in Jeans und T-Shirt mit dem Rücken zu uns eine schwere Mülltüte nach draußen, die matte Innenbeleuchtung der Upper West Side schimmerte auf seinem rasierten Schädel. EinCousin, wenn ich mich recht entsann. Jerry oder Larry aus New Jersey. Ich streckte die Hand aus, als er sich umdrehte. «Lenny Abramov», sagte ich. «Ich glaube, wir haben uns auf der Hanukkafeier Ihres Vaters in Mamaroneck kennengelernt.»
    «Rhesusäffchen?», sagte der Mann. Der vertraute schwarze Pelz seines Schnauzers zuckte zur Begrüßung. Das war kein Cousin aus Matawan. Ich sah Dechronifizierung am Werk. Ich sah Joshie Goldmann höchstpersönlich, sein Körper zurückgestaltet zu einer jungen Masse aus Sehnen, Bändern und Vorwärtsdrang. «Großer Gott», sagte ich. «Da war wohl jemand bei den Indianern. Kein Wunder, dass ich dich die ganze Woche nicht im Büro gesehen habe.»
    Aber der verjüngte Joshie nahm mich gar nicht mehr wahr. Er atmete so schwer wie gleichmäßig. Sein Mund öffnete sich langsam. «Hallo-o», sagte der Mund.
    «Hi», sagte Eunice. «Lenny», hob sie an.
    «Lenny», echote Joshie abwesend. «’tschuldigung. Ich bin   –»
    «Eunice.»
    «Joshie. Kommt rein. Bitte.» Er betrachtete sie eingehend, als sie durch die Tür trat, verschlang die leicht gebräunten Schultern unter den schwarzen

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