Super Sad True Love Story
Trägern des Cocktailkleids und sah mich dann mit dumpfem Begreifen an. Jugend. Ein anscheinend ungehinderter Energiefluss. Schönheit ohne Nanotechnologie. Wenn er nur wüsste, wie unglücklich sie war.
Wir gingen durch bis ins Wohnzimmer, das, wie ich wusste, ebenso bescheiden war wie der Rest der Wohnung. Art-déco-Sofas in blauem Samt. Poster aus seiner Jugend – Science-Fiction-Filme, darin Frauen mit hochtoupierten Haaren und Männer mit kantigem Kinn –, konservativ in Eichenholz gerahmt, wie um zu verdeutlichen, dass sie dieZeitläufte unbeschadet überstanden hatten und daraus, wennschon nicht als Meisterwerke, so doch als kraftvolle Kulturgüter hervorgegangen waren. Allein schon die Titel.
Jahr 2022 … die überleben wollen.
Und
Flucht ins 23. Jahrhundert
. Das waren Joshies Anfänge: eine dystopische Wohlstandskindheit in verschiedenen elitären amerikanischen Vorstädten. Völliges Eintauchen in
Isaac Asimov’s Science Fiction Magazine
. Als Zwölfjähriger erste Erkenntnis der Sterblichkeit, denn das wahre Science-Fiction-Thema ist nicht Leben, sondern Tod. Alles ist endlich. Die Totalität davon. Die Selbstliebe. Nicht sterben wollen. Leben wollen, ohne zu wissen, wieso. Zum Nachthimmel aufschauen, zur schwarzen Ewigkeit des Weltraums – erstaunt. Die Eltern hassen. Ihre Liebe wollen. Schon da ein beklommenes Bewusstsein der vergehenden Zeit, abgehacktes Badezimmergeheul aus Trauer um einen verstorbenen Spitz, Gefährte und einziger Freund des jungen Joshie, hingestreckt vom Hundekrebs auf einer Rasenfläche in Chevy Chase, Maryland.
Eunice stand mitten im Wohnzimmer und errötete heftig, das Blut schoss ihr in Wellen in die Wangen. Ich tat etwas, womit ich selbst nicht gerechnet hatte. Ich verletzte den Anstand, ging zu ihr und küsste sie aufs Ohr. Aus irgendeinem Grund wollte ich Joshie klarmachen, wie sehr ich sie liebte und dass diese Liebe nicht allein auf ihrer Jugend gründete, die wahrscheinlich das Einzige war, was er an ihr wahrnahm. Die beiden Menschen, die mein Universum bildeten, wandten verlegen den Blick von mir ab. «Ich freue mich so», murmelte Joshie. «Ich bin so froh, Sie endlich kennenzulernen. Gott. Lenny redet so viel von Ihnen.»
«Lenny redet ohnehin sehr viel», scherzte Eunice gelungen.
Ich legte ihr den Arm um die Schultern und spürte sie atmen. Joshie richtete sich auf, und ich sah seinen Muskeltonus, die von Adern durchzogene Realität dessen, was aus ihm werden sollte, die winzigen Maschinen, die in ihm wühlten, alles in Ordnung brachten, was falsch gelaufen war, neu verkabelten, neu zuordneten, den Tacho jeder Zelle auf null stellten, ihn mit dem Glanz eines frühreifen Kindes leuchten ließen. Von den drei Anwesenden war allein ich es, der aktiv starb.
«Na, ich hol mal was von dem superleckeren Wein», sagte Joshie. Er lachte untypisch aufgesetzt und rannte in die gut bevorratete Pantryküche.
«So habe ich ihn noch nie gesehen», sagte ich zu Eunice.
«Er erinnert mich an dich», sagte Eunice. «Ein großer Nerd.» Darüber lächelte ich und freute mich, dass sie an uns Gemeinsamkeiten entdeckte. Mir kam der Gedanke, dass wir eine Art Familie bilden könnten, auch wenn mir nicht klar war, welche Rolle ich dabei spielen sollte. Eunice zupfte mir ein paar Haare vom Gesicht, ihr eigenes glühte von der Aufmerksamkeit, und tupfte mir Fettcreme auf die Lippen. Sie zog mein kurzärmliges Hemd nach unten, damit es unter dem leichten Kaschmirpullover mit V-Ausschnitt besser saß. «Mach mal so mit den Armen», sagte sie und schüttelte ihre. «Und jetzt zieh die Ärmel runter.»
Joshie kehrte zurück und reichte Eunice ein Glas Wein; ich bekam einen Kaffeebecher dunkelroten Wohlgeruchs. «Hoffe, der Becher macht dir nichts aus, Lenny», sagte er. «Meine Putzfrau ist nicht durch den AR R-Checkpoint auf der WB gekommen.»
«Auf der
was
?», fragte ich.
«Der Williamsburg Bridge», erklärte Eunice. Sie und Joshie verdrehten die Augen und lachten über meine Begriffsstutzigkeit, wenn es um Abkürzungen ging. «Sie habenso eine schöne Wohnung», sagte Eunice. «Diese Poster müssen doch eine Milliarde wert sein. Das ist alles so alt.»
«Wie der Besitzer», sagte Joshie.
«Nein», widersprach Eunice. «Sie sehen toll aus.»
«Sie auch.»
Ich zog noch einmal an meinen Hemdsärmeln.
«Ich führe euch dann mal rum», sagte Joshie. «Zweiminütige Wohnungsführungen sind meine Spezialität.»
Wir betraten sein vollgerümpeltes
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