Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
Vom Netzwerk:
schnallten. Ein ländlicher Holztransporter hielt genau hinter dem Lastwagen. Doch darauf gestapelt lagen nicht etwa frischgefällte Stämme, sondern Kreditmasten, stumpf und rund, sogar ohne den Schmuck, der die Vorgänger immerhin verziert hatte. Noch am selben Tag waren alle aufgestellt, und neue Stoffbahnen wehten von den Spitzen, darauf der an den Parthenon erinnernde Umriss des neuen IW F-Haupt sitzes in Singapur und der Slogan:
    «Das Leben ist reicher, das Leben ist schöner! Vielen Dank, Internationaler Währungsfonds!»
     
    Ich traf mich mit Grace zum Picknick im Park. Sie saß auf der Sheep Meadow auf einem bequemen Felsvorsprung, einer Art Chaiselongue aus der Eiszeit. Nicht einmal ein halbes Jahr zuvor war das Blut von hundert Menschen über die benachbarten Rasenkissen geflossen. In dem weißen Baumwollkleid, das ihr locker um die Schultern fiel, mit den Haaren, die ihr konzentriertes Gesicht in perfektem Schwung einrahmten, hochschwanger und doch in ihrer Entspanntheit elegant, wirkte sie aus der Ferne wie eine Vision, die unbegreiflich stimmig in die Welt passte. Langsam ging ich auf sie zu und ordnete meine Gedanken. Ich musste mir überlegen, wie ich einen anderen Menschen in unsere Freundschaft einbeziehen könnte, jemanden, der sogar noch kleiner und unschuldiger war als seine Mutter.
    Ich sah das Kind schon vor mir. Egal, wie sehr Grace es mit ihrem Wesen formen würde (man hatte mir gesagt, es wird ein Junge), würde es auch etwas von Vishnus Pelzigkeit abbekommen, von seiner tapsigen Freundlichkeit und Naivität. Mir kam es seltsam vor, ein Kind als Produkt
zweier
Menschen zu betrachten. Trotz all ihrer Temperamentsunterschiede sind meine Eltern sich so ähnlich, dass ich sie gelegentlich für
ein
Elternteil halte, geschwängert von einem jiddischen Heiligen Geist. Und wenn Eunice und ich nun ein Kind bekommen würden? Würde sie das glücklichermachen? In letzter Zeit schien sie mir so fern. Sogar wenn sie auf AssLuxury ihre magersüchtigen Lieblingsmodels anschaute, sah es so aus, als würde ihr Blick sich durch diese hindurch in eine neue Dimension bohren, in der es weder Hüften noch Knochen gibt.
    Grace und ich tranken Wassermelonensaft und aßen frischgeschnittenen Kimbap von der 32 th Street – der eingelegte Daikon-Rettich knirschte laut zwischen unseren Zähnen, Reis und Seetang überzogen unsere Gaumen mit Speisestärke und Meer. Normalität, danach strebten wir. Nach einigen witzelnden Vorbemerkungen setzte Grace ihre ernste Miene auf. «Lenny», sagte sie. «Ich muss dir etwas sagen, was ein bisschen traurig ist.»
    «O nein», sagte ich.
    «Vishnu und ich haben eine permanente Aufenthaltsgenehmigung für StabilitätsKanada bekommen. In drei Wochen ziehen wir nach Vancouver.»
    Ich spürte, wie der Reis sich in meiner Kehle ausdehnte, und hustete in meine Hand. Ich bedachte das Urteil, das mir verkündet worden war.
Grace
. Die Frau, die mich am meisten geliebt hatte. Die mir die letzten fünfzehn Jahre zugehört hatte, trotz all meiner Melancholie und Dysthymie.
Vancouver
. Ein Stadt im Norden, weit, weit weg.
    Grace umarmte mich, und ich sog ihre Haarspülung und ihre bevorstehende Mutterschaft ein. Sie ließ mich im Stich. Liebte sie mich
dennoch
? Selbst Tschechows unansehnlicher Laptew hatte eine Bewunderin, eine Frau namens Polina, «sie war sehr mager und hässlich und hatte eine lange Nase». Nachdem Laptew die junge und schöne Julija geheiratet hat, sagt Polina zu ihm:
     
    «Sie sind also verheiratet. Aber seien Sie unbesorgt, ich bin nicht missgestimmt, ich schaffe es schon, Sie ausmeinem Herzen zu reißen. Ärgerlich und bitter ist nur, dass Sie genauso ein Dreckskerl sind wie alle und dass Sie bei einer Frau nicht den Verstand, nicht den Intellekt suchen, sondern nur ihren Körper, ihre Schönheit und Jugend   … Jugend!»
     
    Ich wollte, dass Grace mir ähnliche Worte entgegenzischte, mich noch einmal damit konfrontierte, dass ich eine so junge und unerfahrene Frau liebte, und mich vor die Wahl zwischen einem Zusammenleben mit ihr statt mit Eunice stellte. Aber das tat sie natürlich nicht.
    Und das machte mich wütend.
    «Wie habt ihr denn eine Aufenthaltsgenehmigung für Kanada gekriegt?» Ich versuchte gar nicht erst, die Schärfe in meiner Stimme herunterzupegeln. «Ich dachte, das ist unmöglich. Auf der Warteliste stehen über 23   Millionen Leute.»
    «Wir hatten Glück», sagte sie. «Und ich habe einen Abschluss in Ökonometrie, das

Weitere Kostenlose Bücher