Super Sad True Love Story
nicht immer so benehme. Aber eins kann ich dir aus Erfahrung sagen, Eunice: Du hast nur eine Jugend. Und die solltest du mit jemandem verbringen, der daraus das Beste für dich herausholen kann, jemandem, bei dem du dich gut und versorgt und geliebt fühlst und der, auf lange Sicht, nicht Ewigkeiten vor dir stirbt wie Lenny. (Rein statistisch gesehen, da er ein russischer Mann und du eine asiatische Frau bist, wird er ungefähr zwanzig Jahre vor dir abtreten.)
Ob ich selbst Angst kriege, weil es mit uns so schnell geht? Das kannst du mir aber glauben! Manchmal schaue ich uns beide im Spiegel an und kann gar nicht fassen, wer ich bin. Jede Woche rücken wir näher zusammen, und doch tust du jede Woche etwas, das mich glauben lässt, dass ich dich nicht verdiene. Du stößt mich weg. Wieso? Liegt es in deiner Natur, grausam zu Männern zu sein? Dann kannst du den Teil deines Charakters vielleicht ändern, bevor es zu spät ist.
Ich denke dauernd an dich, Eunice. Manchmal bist du das Einzige auf der Welt, was für mich noch irgendeinen Sinn ergibt. Und jetzt musst DU mal anfangen, an MICH zu denken. Ich sitze hier oben in der guten alten Upper West Side, schlage mir auf die Brust, stoße traurige Affenlaute aus und träume von dem Tag, da du mich so behandelst,wie ich es verdiene. Meine süße Hummel, wir haben noch viele Jahre vor uns. Lass uns keinen Wimpernschlag dieser wertvollen Zeit vergeuden.
Sogni d’oro
, wie du gern sagst. Goldene Träume für dich.
FOREVER YOUNG
Aus dem Tagebuch des Lenny Abramov
10. November
Liebes Tagebuch,
heute habe ich eine wichtige Entscheidung getroffen:
Ich werde sterben.
Von meiner Persönlichkeit wird nichts überdauern. Mein Leben, mein gesamtes Sein, wird für immer verloren gehen. Ich werde genullt, mein Licht wird ausgeknipst werden. Und was bleibt? Schwebt durch den Äther, kitzelt den leeren Bauch des Weltraums, setzt über einigen Farmen außerhalb von Kapstadt zum Sinkflug an und kollidiert über Hammerfest, der nördlichsten Stadt dieses zerstörten Planeten, mit einem Nordlicht – meine Daten, die suppige Grundlage meiner Existenz, auf einem GlobalTeens-Account hochgetextet. Wörter, Wörter, Wörter.
Du, liebes Tagebuch.
Das hier wird mein letzter Eintrag sein.
Einen Monat zuvor, Mitte Oktober, brauste ein herbstlicher Windstoß die Grand Street entlang. Eine Frau aus unserem Wohnhaus, eine alte, müde Jüdin, die quer über den Säckchen ihrer Brüste falsche Jadetropfen trug, schaute zum drängenden Wind hinauf und sagte: «Stürmisch.» Nur ein Wort, das nicht mehr bedeutet als «eine Zeitspanne oder Wetterlage, die von starken Winden bestimmt ist», doch es traf mich unerwartet, erinnerte mich daran, wie Sprache früher einmal gebraucht wurde, an ihre Präzision und Einfachheit, an ihre Fähigkeit, Erinnerung zu evozieren. Nichtkalt, nicht kühl – stürmisch. Einhundert weitere stürmische Tage erstanden vor meinem geistigen Auge, meine junge Mutter im Kunstpelzmantel vor unserem Chevrolet Malibu Classic, die Hände schützend über meine Ohren gelegt, weil meine unzureichende Skimütze nicht ganz darübergezogen werden konnte, während mein Vater sich fluchend mit dem Autoschlüssel abmühte. Ihr sorgenvoller Atemstrom an meinem Gesicht, das aufregende Gefühl, gleichzeitig zu frieren und beschützt zu sein, den Elementen ausgesetzt und doch geliebt.
«Es ist
wirklich
stürmisch, Ma’am», sagte ich zu der alten Frau. «Ich spüre es in den Knochen.» Und sie lächelte mich mit dem an, was sie an Gesichtsmuskeln noch zur Verfügung hatte. Wir kommunizierten mit Worten.
Als ich aus Westbury zurückkehrte, war Eunice unversehrt, aber die Vladeck Houses waren zu Skeletten geworden, ihre orangeroten Rückenschilde schwarz verkohlt. Ich stand mit einer Gruppe weiterhin erwerbstätiger Medientypen in teuren Turnschuhen vor den Gebäuden, und wir bewerteten die aufgebrochenen Linien ehemaliger Fenster, verwandelten eine einsame Samsung-Klimaanlage, die in der schwachen Flussbrise an ihrem Kabel hin und her schwang, in Poesie. Wo waren die Bewohner? Die Latinos, die uns einst so froh gemacht hatten, weil wir sagen konnten, wir bewohnten «das letzte multiethnische Viertel in Downtown» – wo waren sie hin?
Ein mit Fünf-Jiao-Männern überfüllter Staatling-Lastwagen hielt vorm Haus. Die Männer kletterten heraus und bekamen sofort Werkzeuggürtel ausgehändigt, die sie eifrig, fast glücklich um ihre schmal gewordenen Taillen
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