Super Sad True Love Story
Eltern waren in der ehemaligen Sowjetunion geboren, und meine Großmutter hatte Stalins letzte Jahre überlebt, wenn auch nur knapp, doch mir selber fehlt der genetische Instinkt für den richtigen Umgang mit ungezügelter Macht. Vor überlegener Gewalt knicke ich sofort ein. Als meine Hand also ihre lange Reise aus dem Schoß in die angstgeschwängerte Kabinenluft antrat, wollte ich meine Eltern bei mir haben. Ich wollte die Hand meiner Mutter im Nacken spüren, die kühle Berührung, die mich als Kind immer beruhigt hatte. Ich wollte meine Eltern laut Russisch reden hören, denn das war für mich immer die Sprache gerissener Unterordnung. Ich wollte, dass wir diesem Problem gemeinsam ins Auge sahen, denn was wäre, wenn man mich als Verräter erschoss und meine Eltern es von einem Nachbarn, aus dem Polizeibericht, durch den kartoffelgesichtigen Nachrichtensprecher ihres Lieblingssenders FoxLiberty-Ultra erfuhren? «Ich liebe euch», flüsterteich in Richtung Long Island, wo meine Eltern leben. Mit Hilfe der Satellitenkamera meiner Vorstellungskraft zoomte ich mich an das gewellte grüne Dach ihres bescheidenen Cape-Cod-Häuschens heran, über dessen ebenso winzigem grünem Arbeiterklassengarten die Taxierung in Yuan schwebte.
Und dann wollte ich Eunice neben mir, damit wir diese letzten Augenblicke teilen konnten. Ich wollte ihre jugendliche Machtlosigkeit spüren, indem ich, die Hand auf ihrem knochigen Knie, die Furcht aus ihr herausstreichelte und sie wissen ließ, dass nur ich in der Lage war, ihr Sicherheit zu bieten.
Neun von uns hoben die Hand. Die Amerikaner. «Holen Sie Ihre Äppäräte heraus.» Wir taten wie geheißen. Keine Fragen. Wie ein verschämter Welpe, der zeigt, wo er seinen Zwinger besudelt hat, hielt ich ihnen mein Gerät in besonders unterwürfiger Geste hin. Die Daten meines Äppäräts wurden von einem jungen Mann, dem unterm langen grünen Mützenschirm das Gesicht zu fehlen schien, auf dessen Militäräppärät gezogen. Nur seine Arme konnte ich sehen, sehnig muskulös, rasenmäherstark. Er legte den Kopf schräg, seufzte, sah dann auf die Uhr. «Okay, Leute, gehen wir!», brüllte er.
Die First Class ging in großer Hast von Bord. Wir rannten die Treppe hinunter auf die rissige Landebahn des JFK, die unter den Armadas von gepanzerten Armeetransportern und wild kurvenden Gepäckwagen erzitterte. Die Sommerhitze strich über meinen feuchten Rücken und gab mir das Gefühl, an meinem ganzen Leib wäre gerade ein Feuer gelöscht worden. Ich zog meinen U S-Reisepass hervor und hielt ihn in der Hand, befingerte den geprägten goldenen Adler und hoffte noch immer, dass er weiterhin etwas bedeutete. Ich weiß noch, wie meine Eltern von ihrem
Glück
redeten, dass sie die Sowjetunion verlassen hatten und nach Amerika gegangen waren. O Gott, dachte ich, lass dieses Glück immer noch in der Neuen Welt zu finden sein.
«Bitte warten Sie unterm ‹Sicherheitsschuppen›», schluchzte eine der Flugbegleiterinnen in unsere Richtung. Wir steuerten auf einen seltsamen Auswuchs zu, der inmitten einer Szenerie trister, maroder Terminals lag – sie waren übereinandergestapelt wie die Hütten eines grauen Slums in Lagos. Wir betrachteten die müden Gebäude eines vorzeitig gealterten Landes; in der Ferne, weit weg von den Panzern und Truppentransportern, ragten Kräne über dem halbfertigen futuristischen Frachtterminal-Komplex der China Southern Airlines auf. Ein Panzer rollte auf uns zu, und wir neun First-Class-Amerikaner hoben instinktiv die Hände hoch. Der Panzer blieb abrupt stehen; ein einzelner Soldat in T-Shirt und Shorts schwang sich aus der Luke und stellte ein Hinweisschild daneben, schwarze Lettern auf orangerotem Hintergrund:
ES IST VERBOTEN, DIE EXISTENZ DIESES FAHRZEUGS (DES «OBJEKTS») ZUR KENNTNIS ZU NEHMEN, BEVOR MAN 1 KM VOM SICHERHEITSRADIUS DES JOHN F. KENNEDY INTERNATIONAL AIRPORT ENTFERNT IST. INDEM SIE DIESES SCHILD LESEN, LEUGNEN SIE DIE EXISTENZ DES OBJEKTS UND STIMMEN DIESER VEREINBARUNG ZU.
AMERIKANISCHE RESTAURATIONSREGIERUNG, SICHERHEITSDIREKTIVE IX-2.11 «GEMEINSAM WERDEN WIR DIE WELT VERBLÜFFEN!»
Die Italiener, davon überzeugt, das Schlimmste hinter sich zu haben, redeten bereits über die zurückliegenden zehn Minuten, als hätten sie ein spannendes geopolitisches Abenteuer erlebt; die Frauen unter ihnen tauschten sich über Handtaschenläden in Nolita aus, wo sie vom schwachen Dollar besonders profitieren konnten. Und dann fiel mir auf, dass der
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