Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
Vom Netzwerk:
Einkommens und wollte mehr wissen.
    Mein Retro-Äppärät mahlte mühselig Daten, die mir verrieten, dass es mit ihrem Vater geschäftlich bergab ging. Ein Diagramm zeigte das jeweilige Einkommen der letzten achtzehn Monate; die Summen in Yuan nahmen seit dem Umzug nach New Jersey, der sich als Fehler erwiesen hatte, stetig ab – im Juli betrug es nach Abzug aller Ausgaben nur noch achttausend Yuan, ungefähr die Hälfte von meinem, und ich hatte keine vierköpfige Familie zu ernähren.
    Über die Mutter gab es keine Daten, sie gehörte ausschließlich ins Haus, über Sally, die Jüngste, dagegen ein ganzes Meer. Aus ihrem Profil erfuhr ich, dass sie schwererwar als Eunice – ihr Gewicht manifestierte sich in den Pausbacken und den sanften Kurven ihrer Arme und Brüste. Doch der LD L-Cholesterinspiegel lag weit unterhalb der Norm, und der HD L-Anteil war so viel höher, dass sich ein unerhört gutes Verhältnis ergab. Selbst bei ihrem Körpergewicht konnte sie 120   Jahre alt werden, wenn sie an ihren Essgewohnheiten festhielt und brav Morgengymnastik betrieb. Nachdem ich mir ein Bild von ihrer Gesundheit gemacht hatte, untersuchte ich ihr Konsumverhalten und bekam dabei auch einen Eindruck von Eunice. Die Park-Schwestern mochten X S-Blusen in strengem Business-Look, schlichte graue Pullover, die sich nur durch Herkunft und Preis auszeichneten, Perlenohrringe, Kindersocken für hundert Dollar (so klein waren ihre Füße), Slips in Form von Geschenkschleifen, Schweizer Schokolade aus diversen Delis und Schuhe, Schuhe, Schuhe. Ich sah ihren Kontenstand bei der AlliedWasteCVSCitigroup steigen und fallen wie die Brust eines lebenden, atmenden Tiers. Am einen Rand bemerkte ich Links zu etwas, das «AssLuxury» hieß, sowie zu verschiedenen Boutiquen in L.   A. und New York, am anderen Rand zum AlliedWaste-Konto ihrer Eltern, und ich stellte fest, dass ihre hübsche kleine Immigranten-Schatztruhe stetig und bedrohlich leerer wurde. Ich sah die Familie Park als Ganzes und wollte sie vor sich selbst retten, vor der idiotischen Konsumkultur, die sie langsam ausbluten ließ. Ich wollte ihnen Rat bieten und beweisen, dass man mir – selbst Immigrantensohn – vertrauen durfte.
    Als Nächstes schaute ich mir die sozialen Netzwerke an. Fotos zogen vor meinen Augen vorbei, die meisten von Sally und ihren Freunden. Junge Asiaten, die sich verstohlen mit mexikanischem Bier betranken, gutaussehende Jungen und Mädchen in ordentlichen Baumwoll-Sweatshirts, die der Äppärätlinse zwei Finger zum Siegeszeichen hinstreckten,im Hintergrund ein Klavier mit Zierdeckchen und ein Schäferidyll: golden eingefasst, Jesus in glückseligem freiem Fall. Jungs, die sich auf dem breiten Elternbett balgten, Jeans über Jeans über Jeans. Aneinandergekuschelte Mädchen, gebannt auf einen Äppärät starrend, ernsthafte Versuche, zu lachen, spontan zu sein, auf dezente weibliche Art herumzualbern. Schwester Sally, aus deren Gesicht verletzte Freundlichkeit sprach, die Arme um ein ebenso kräftig gebautes Mädchen in katholischer Schuluniform geschlungen, das ihr mit einer Hand kindische Hörner verpasste, und da, am Ende einer Revuegirlreihe von zehn verzweifelt grinsenden College-Absolventinnen, meine Eunice, die kühl ein gepflastertes kalifornisches Hinterhofstück mit wackligem Hundetor betrachtete und mühevoll die Wangenmuskeln hob, um das erforderliche strahlende Dreiviertellächeln hinzubekommen.
    Ich schloss die Augen und ließ das Foto in mein rasch sich füllendes Eunice-Archiv gleiten. Doch dann sah ich noch einmal hin. Es war gar nicht ihr so herrlich falsches Lächeln, das mich gefesselt hatte. Da war noch etwas anderes. Sie hatte sich von der Äppärätlinse abgewandt, und eine Hand hing für immer festgefroren in der Luft, da sie sich schnell eine Sonnenbrille aufsetzen wollte. Ich vergrößerte das Bild um 800   Prozent und zoomte auf das von der Kamera entfernte Auge. Darunter und daneben bemerkte ich etwas, das wie die schwarzledrige Nachwirkung geplatzter Blutgefäße aussah. Ich zoomte mich näher heran und wieder weg, versuchte den Makel auf einem Gesicht zu entziffern, das keinen Makel duldete, und erkannte nach und nach den Abdruck zweier, nein, dreier Finger   – Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger   –, mit denen ihr ins Gesicht geschlagen worden war.
    Okay. Stopp. Genug der Detektivarbeit. Genug der Besessenheit.Genug der Versuche, sich als Retter eines geprügelten Mädchens aufzuspielen. Wollen mal sehen, ob ich

Weitere Kostenlose Bücher