Superhirn Sammelband
auf die Leiter in den Schacht zu setzen, Der Pudel sprang aufjaulend an Tati hoch und landete in ihrem Arm. Aus der Öffnung quollen Katzen, Katzen, Katzen. Weiße, schwarze, cremefarbene Kurzhaarkatzen, die von x-beliebigen Bauernhöfen stammen konnten, gescheckte, gestrichelte, gestromte, auch solche mit halblangem Haarkleid, abenteuerliche Wald-und Wiesenmischungen. Aber auch Zuchtrassen-Exemplare kamen durch die Öffnung herauf, wie aus einem überkochenden Topf: eine rote Abessinierkatze, zwei schwanzlose Manx-Katzen, eine Lilac-Point-Siamesin, eine braune Burmakatze. Man konnte sie so schnell nicht benennen: Selbst ein Fachmann hätte das in der Hast und vor lauter Entsetzen nicht gekonnt.
»Haltet euch fest!« brüllte Henri. Er warnte unwillkürlich so laut. Wenn man sich urplötzlich einer solchen Katzenmenge gegenübersieht, die einem durch das ständige Drängen der Nachfolgenden die Füße unter dem Körper wegzuschieben droht, dann denkt man automatisch auch an Geschrei, Gemaunze, Gejammer.
Aber das war eigentlich das geisterhafteste: Die Tiere blieben stumm! Sie tappten auf den sprichwörtlichen Katzenpfoten, hüpften übereinander her, überkugelten sich, kamen wieder auf die Beine – doch Stimmlaute gaben sie keinen von sich!
Da aber zerriß zum ersten Male draußen ein Monsterschrei die Nacht. Und wenn Experten behaupten, ein normaler Kater erreiche die Lautstärke einer Dampfpfeife, so gellte das jaulen des Ungeheuers wie eine Feuersirene über Land und Meer …
Augenblicklich erstarrte die Flut der kleinen Katzen im Turm, Dann setzte – Rückbewegung ein, eine wilde, panische Flucht in den Untergrund, aus dem sie gekommen waren. Die sechs Menschen und der Pudel hatten die Tiere nicht gekümmert; sie waren an ihnen vorbeigeströmt, als seien sie nicht vorhanden. Aber der durchdringende Schrei des Monsters schien sie zur Hölle jagen zu wollen. Es dauerte nicht lange, und die letzte Katze hatte sich wieder in den Schacht gestürzt.
G6rard und Prosper wuchteten den Deckel über die Öffnung. Superhirn und Henri rasten die Treppe empor und traten auf die oberste Plattform hinaus. Von See her wehte eine leichte, warme Brise. Weit draußen sah man Schiffslichter. Die Freunde hasteten zur anderen Seite und blickten zum Institut.
»Na, ein Glück!« japste Henri. »Das steht noch!«
In den Gassen zwischen den Labors und Wohnhäusern schien grelles Licht. Auch der Flugplatz mit den Hangars war beleuchtet. In den Labors herrschte ebenfalls Helligkeit. Also wurde dort noch gearbeitet!
Superhirn beugte sich über die Brüstung und schickte den Lichtkegel seiner Taschenlampe dicht an der Mauer hinab. Urplötzlich hatte er das Monster im hellen Kreis, das Ungeheuer mit den riesigen, grünschillernden Augen. Es hielt den gewaltigen Katzenkopf im Genick und blickte zu den Freunden hoch.
»Junge!« hauchte Henri. »Das ist ein Königstiger, ein man-eater, ein Menschenfresser, ein…«
»Ein ganz ordinärer Kater!« wisperte Superhirn. »Ein krankhaft ins Riesige ausgearteter Kater!
Er macht einen Buckel wie ein Kamelhöcker! Und der überlaute Katerschrei vorhin – typisch!«
»Typisch wofür?« flüsterte Henri.
»Eine Wachstumsexplosion!« sagte Superhirn vor sich hin. »Was mag in der Katzenwelt nur passiert sein? Die kleinen, normalwüchsigen wandern seit über einem Jahr, und daß sie keine Tollwut haben, weiß man längst. Ein Wandertick – aber wodurch entstanden? Und weshalb gibt's einzelne, die so furchtbar wachsen?«
»Von so irren Wachstumsstörungen hab ich nie gehört!« murmelte Henri.
»Ich schon«, entgegnete Superhirn. »In Japan gibt es Menschen, die über zwanzig Jahre alt sind - und nur 30 Zentimeter groß wurden! Ursache: ihre Eltern und sie selber benutzten zu allen möglichen Zwecken seit eh und je das Wasser eines cadmiumhaltigen Flusses.«
»Wenn das Kleinbleiben möglich ist – dann auch so ein Wachstumssprung?«
Die Freunde fuhren von der Brüstung zurück, denn das Monster machte einen Satz auf den Turm zu. Es fauchte wie eine Luftdruckbremse.
»Mensch, das Biest ist größer als ein Rind!« staunte Henri. Seine Stimme bebte.
»Aber bis hier herauf kann's nicht springen!« sagte Superhirn nach kurzer Überlegung. Beide schraken zusammen.
»Was war das?« stieß Henri hervor.
»Das wollte ich gerade von dir wissen!« zischte Superhirn. »Hinter uns hat etwas geknurrt!«
»Da…« schluckte der Freund. »Da – an der Tür! An der Tür zur Treppe – ein rotes
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