Supernova
Bildschirm an der Garderobentür
hinüber. »Kann das was mit dem Finanzprüfungsausschuss
der Abteilung Unterhaltung und Kultur zu tun haben?«, fragte er
leicht verwirrt.
»Doppelter Mist!« Als sie sich aufzusetzen versuchte,
hatte sie ein grässliches Gefühl von Déjà-vu.
»Wie spät ist es?«
»Zwei Uhr nachmittags.« Martin gähnte. »Ich
schick’s dir am besten.«
Hastig las Rachel die Nachricht durch. »Anhörung vor der
Abteilung«, bemerkte sie knapp. »Ich muss ganz schnell in
die Zentrale.«
Martin sah sie verständnislos an. »Ich dachte, du
hättest mit diesem Unsinn aufgeräumt.«
»Ich? Ich bin fort gewesen. Dachte, du hättest es
vielleicht bemerkt.« Sie runzelte die Stirn. »Hab dem Fuchs
die Verantwortung fürs Hühnerhaus überlassen, wies
aussieht. Frage mich, ob meine Quellen irgendwas über sie
herausgefunden haben…«
Müde und mit trübem Blick beauftragte sie ein paar
Suchmaschinen, ihre Mails zu durchforsten – sowohl unter den
öffentlich zugänglichen E-Mail-Adressen als auch unter
einigen privaten, die sie bewusst geheim hielt.
»Anscheinend will sich dieses Miststück in der
Unterhaltungsabteilung wichtig tun. Da ich es versäumt habe, an
irgendeiner Anhörung des Untersuchungsausschusses vor sechs
Wochen teilzunehmen, hat sie’s geschafft, eine Abmahnung wegen
Nichterscheinens gegen mich zu bewirken. Sie hat Wind davon bekommen,
dass ich wieder in der Stadt bin, und hat jetzt vor, Anklage wegen
strafbarer Handlungen gegen mich zu erheben – wegen
Unterschlagung oder Veruntreuung von Geldmitteln oder ähnlichen
Konstrukten. In diesem Moment tagt der Untersuchungsausschuss
bereits, unter ihrem Vorsitz. Wenn ich dort nicht rechtzeitig
hinkomme…«
»Ich rufe dir ein Lufttaxi.« Martin war bereits aus dem
Bett. »Hast du irgendeine Ahnung, was sie gegen dich in der Hand
hat?«
»Ich weiß es nicht…« Rachel erstarrte. Die
Suchmaschinen hatten ihre Arbeit beendet und etwas Neues,
Schockierendes an den Tag gebracht und markiert. »Ups! Das
Hauptquartier ist sauer.«
»Hauptquartier?«
»Des Geheimdienstes, nicht der Abteilung Unterhaltung und
Kultur. Die wollen nicht, dass die Frau da herumstöbert.«
Langsam zog ein Lächeln über Rachels Gesicht. »Legen Sie ihr das Handwerk, schreiben sie. Nur sagen sie
nicht, wie.«
»Pass auf dich auf«, sagte Martin leicht besorgt.
»Du willst doch wohl nicht überreagieren.«
»Überreagieren?« Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Das Miststück hat versucht, mir eine Schlinge um den Hals
zu legen, hat versucht, eine UXB-Operation zu behindern, und will
jetzt Anklage wegen strafbarer Handlungen gegen mich erheben –
und da soll ich überreagieren?« Sie blieb einen Augenblick
vor dem Waffentresor hinten im Schrank stehen. »Nein, das
wäre wirklich eine Überreaktion. Ich will ja nicht, dass
der Teppich blutig wird.«
Er starrte sie an. »Hab ich gerade eben richtig gehört?
Du willst sie tatsächlich aus dem Verkehr ziehen?«
»Allerdings. Obwohl ich nicht glaube, dass ich dazu Gewalt
anwenden muss. Das wäre allzu grob. Und den Grobheiten habe ich,
oh, vor etwa dreißig Sekunden abgeschworen.« Rachel
schälte ein subkutanes Pflaster aus der Verpackung und klebte es
in die linke Armbeuge. Ihr Blick fiel auf die offene Kiste an der
Schlafzimmertür, voller Dinge, die sie sich im Lauf der Reise
auf der Romanow besorgt hatte. Nach und nach überzog sich
ihr Gesicht mit einem Lächeln. »Ich muss ein paar Anrufe
machen. Diese Sache müsste eigentlich recht lustig
werden…«
Das Hauptquartier der Vereinten Nationen hatte sich während
Rachels Abwesenheit nicht merklich verändert: Es war immer noch
derselbe neo-klassizistische Wolkenkratzer aus Glas und Stahl, der
hoch über den steinernen Gassen und malerischen Kuppeln der
Genfer Altstadt aufragte. Und auf dem Vorplatz standen immer noch die
großen Statuen der Gründerväter, Otto von Bismarck
und Tim Barners-Lee. Während Rachel in die Lobby ging, sah sie
sich angespannt um. Neben dem üppig verzierten Empfangspodest
wartete eine Polizistin, die sich mit der Empfangsdame (kein Roboter,
sondern eine aus Fleisch und Blut) unterhielt. Rachel nickte in ihre
Richtung und begab sich gleich darauf beruhigt zu dem uralten
Paternoster. Was George wohl treiben mag?, fragte sie sich,
als die Türen zuglitten. Befasst sich bestimmt mit den Folgen
der Aufräumarbeiten auf Alt-Neufundland. Kann einem schon
einiges Kopfzerbrechen machen.
Das Dossier über Madame Vorsitzende, das in
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