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Supernova

Supernova

Titel: Supernova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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befand sich sechzig Meter
über ihr, und sie würde weitere hundert Meter an einer
Speiche entlangklettern müssen, um zur Radnabe zu gelangen. Und
falls sie die Fahrstühle nahm, würde der Hund sie
aufspüren. Hier unten herrschte allzu viel Fliehkraft, die wie
echte Schwerkraft an ihr zerrte. Sie konnte den Kopf scharf
herumwerfen, ohne dass ihr schwindelig wurde, und die Füße
kamen ihr bleischwer vor. Beim Klettern würde sie anfangs nur
quälend langsam vorankommen, denn die Coriolis-Kraft würde
ihr ständig zu schaffen machen und versuchen, sie seitlich von
der Leiter zu ziehen, die in die Sicherheit führte.
    Die in die Decke eingelassenen Beleuchtungskörper
glühten nur schwach, denn sie waren auf Stufe MONDSCHEIN 7
heruntergefahren. Die Kletterpflanzen in dem kleinen Garten, der im
Mittelpunkt der Kreuzung lag, hingen schlaff herunter, weil sie
bereits unter der achtzehnstündigen Dunkelheit litten. Alles
hier unten war tot oder dabei abzusterben, genau wie der Körper,
den sie zwei Decks oberhalb und drei Abschnitte jenseits ihres
jetzigen Standorts in der öffentlichen Toilette entdeckt hatte.
Als sie gemerkt hatte, dass ihr der Hund immer noch auf den Fersen
war, hatte sie sich auf den Heimweg zu der Wohnung gemacht, die sie
mit ihren Eltern und dem jüngeren Bruder geteilt hatte. Sie
hatte gehofft, der Geruch werde den Hund so verwirren, dass sie sich
unbemerkt auf eines der anderen Evakuierungsschiffe würde
schleichen können. Doch jetzt saß sie hier unten in der
Falle, und der Hund war immer noch da. Sie hätte sich besser auf
den Weg zu den Büros der Verkehrsüberwachung machen sollen
und die Türen verbarrikadieren…
    Ihr früheres Training trieb sie vorwärts. Diesen Sektor
hatte man den Verwaltungsbüros, der Polizei der Raumstation und
der Zoll- und Handelskontrolle überlassen; außerdem lagen
hier die wenigen Diensträume, aus denen sie während der
Arbeitsschichten mit Essen versorgt worden waren. Die Eingänge
zu den dunklen, nicht mehr benutzten Büros standen offen, auf
Stühlen und Schreibtischen sammelte sich bereits Staub.
Vorsichtig betrat sie die Polizeiwache. Hinter dem Empfangsschalter
befand sich eine Wand für öffentliche Mitteilungen,
über die unablässig die Nachricht POLIZEIWACHE GESCHLOSSEN
rollte. Vor Anstrengung stöhnend, kletterte sie über die
brusthohe Barriere und ließ sich dahinter zu Boden gleiten.
    Die alte Ledertasche, die sie auf Geheiß von Hermann
mitgenommen hatte, schlug ihr gegen die Hüfte. Sie verfluchte
sie und das, was sie ihr eingebrockt hatte. Sie war halb mit Papier
gefüllt: mit dickem, zart cremefarbenem Papier aus
Leinenstruktur, das mit echter Tinte beschrieben war, die nicht
verschwamm oder eine andere Form annahm, wenn man am Rand
entlangstrich. Unintelligente Materie, Material, das man verwendete,
wenn man auf jeden Fall ausschließen wollte, dass irgendein
Computerwurm einem ins Handwerk pfuschte und die Nachricht abfing
oder verfälschte. Ganz unten in der Tasche lag eine versiegelte
Kassette voller molekularer Speicherungen – Aufzeichnungen der
Zollstelle der Raumstation. Aufzeichnungen, die irgendjemand für
wichtig genug hielt, um dafür zu töten.
    Sie drehte an einem Ring, sodass die Beleuchtung auf ZWIELICHT
STUFE 3 hochfuhr, und sah sich auf der Wache um. Sie war schon einmal
hier gewesen, als Wachtmeister Barca ihr Schuljahr durch die
Räumlichkeiten geführt hatte. Es war ein gezielter Hinweis
der Erwachsenen darauf gewesen, dass man sich aus Schwierigkeiten
besser heraushielt. Inzwischen sah es hier anders aus: Die
Büros, Zellen und Wartezimmer gähnten wie leere
Augenhöhlen in einem Totenschädel. Die Verwaltung hatte
seinerzeit angenommen, sie kenne sich mit Teenagern gut aus –
doch weit gefehlt: Wednesday hatte gleich den zugesperrten Schrank im
Bereitschaftsraum entdeckt und Pete dazu gebracht, danach zu fragen.
Für den Fall von Unruhen unter den Bewohnern der Raumstation
enthielt dieser Schrank klebrigen Schaum, Pfeffergas, Atemmasken und
Handschellen. Im Fall von Aufruhr das Glas einschlagen. Meistens war Alt-Neufundland ja ein friedliches Pflaster. In den
letzten dreißig Jahren hatte es hier nur einen einzigen Mord
und ein paar Schlägereien gegeben. Die Verwaltung hielt ein
Sondereinsatzkommando für etwas, das man ausschickte, wenn ein
Wespennest in einem Lüftungsschacht zu beseitigen war.
    Wednesday blieb vor dem verschlossenen Schrank stehen, ließ
die Tasche zu Boden fallen und griff nach etwas, das

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