Supervision - Grundlagen, Techniken, Perspektiven
kollegial zu regeln. Im Falle von schweren VerstöÃen kam es zu harten, öffentlich vollzogenen Strafen. Auf diese Weise entstanden Qualitätskontrolle und Selbstreflexion im Berufsprozess.
(3) Seit dem 17. Jahrhundert, vor allem in der Epoche der Aufklärung, gelang es den Naturwissenschaften zunehmend, sich von der kirchlichen Bevormundung zu befreien. In dieser Zeit haben die Ãrzte und Juristen als frühe Dienstleistungsberufe auch
neue Institutionen
entwickelt, die zu ihrer beruflichenSelbstkontrolle beigetragen haben. Beispielsweise wollte man durch die Leichenöffnung und die kollegiale Untersuchung ungeklärter Todesfälle genaue Erkenntnis über die Todesursachen, aber auch über mögliche âKunstfehlerâ der Ãrzte gewinnen. Ãhnlich war es im beruflichen Feld der Justiz. Verfahrensfehler oder Fehlurteile im Bereich der Rechtsprechung können auch heute noch durch die Revision bzw. Berufung vermieden oder korrigiert werden. Wir alle kennen die aus dieser Tradition entstandenen Einrichtungen zur Qualitätssicherung und Selbstkontrolle der selbstständigen Berufe: Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern sowie entsprechende Kammern für Ãrzte und Psychologische Psychotherapeuten, Anwälte oder Architekten.
3. Supervision kommt aus der Sozialarbeit
Gegenüber dieser langen Vorgeschichte begann die eigentliche
Geschichte
der
Supervision
viel später, nämlich zu Ende des 19. Jahrhunderts mit der Entwicklung von zwei Berufen. Der Gegenstand sowie die Aufgaben dieser Berufe waren völlig neu. Denn im Zentrum dieser Berufe standen erstmals direkte
personenbezogene kommunikative Dienstleistungen
. Hierbei handelte es sich um die Sozialarbeiter und um die Psychotherapeuten. (Von den Psychotherapeuten waren die Psychoanalytiker die Ersten, die sich mit diesen Fragen beschäftigten. Der Einfachheit halber werden in diesem Buch Psychoanalytiker mit Psychotherapeuten gleichgesetzt.) Schauen wir uns die Entwicklung der Supervision aus diesen Berufen an. Schon von Beginn an stand bei diesen beiden Berufen die âBeziehungsarbeitâ im Vordergrund. Vor etwas mehr als hundert Jahren wurde die Sozialarbeit in England und den USA vom Nebenamt zum Hauptberuf. Auch wegen der knappen finanziellen Mittel ging es darum, kurz ausgebildete und schlecht bezahlte Helferinnen zu motivieren, in Zeiten steigender Armut weiterhin Sozialarbeit anzubieten. Der Armen-Pfarrer
Barnett
hatte ab 1883 im Londoner Slum-Gebiet Whitechapel auch Studierende und Jungakademiker als ehrenamtliche Helfereingesetzt. Als er bemerkte, wie sehr diese von der Arbeit mit den Armen persönlich betroffen und in Kommunikationen verstrickt waren, bot er ihnen halbstündige âVier-Augen-Gesprächeâ zur Klärung und Entlastung an. Hier liegt das Vorbild für jenen Prozess, den wir heute Praxisberatung, Supervision oder Coaching nennen (C.W.Müller 1982, S. 58). Neben dieser englischen â
Ehrenamtlichen-Supervision
â entwickelte sich etwa zur gleichen Zeit in den USA die â
Vorgesetzten-Supervision
â. Viele ehrenamtliche Helferinnen wurden von wenigen hauptamtlichen Fachkräften motiviert, ausgebildet, angeleitet, unterstützt und kontrolliert. Schon 1898 fand an der âSchool of Social Workâ, heute ein Teil der weltberühmten Columbia University im Norden von Manhattan (New York), ein Kurs über Supervision statt. Das erste Buch über Supervision stammt von J. Brackett: âSupervision and Education in Charityâ (New York 1903). Wie schon angedeutet, war diese Supervision eher für Zwecke der hierarchischen Organisation im Sinne der Kontrolle von Arbeitsvollzügen und Zielerreichung gedacht. Beispielsweise mussten die Sozialarbeiter nach einem vorgegebenen Raster Berichte anfertigen. Ihre Vorgesetzten, also die
Supervisoren
, kontrollierten die Arbeit durch Berichte, Stichproben und regelmäÃige Gespräche. Allerdings ging es bei diesen Gesprächen auch um Probleme des Verstehens der fremden Lebenswelt der Klienten.
Sehr bald kam diese Supervision in den deutschen Sprachraum. Bereits im Jahre 1920 wurde an der Sozialen Frauenschule in München bei der Ausbildung von Fürsorgerinnen (heute: Sozialarbeiterinnen) eine Lehrveranstaltung mit dem Titel âBesprechung der sozialen Praxisâ angeboten. Auch die Schülerinnen der Wohlfahrtsschule Jena mussten schon 1926 wöchentlich zwei Tage
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