Surf
saubere Luft. Eine weitere Welle rollte herein, und er nahm sie sich vor.
Skinny griff sich die nächste, erwischte sie allerdings nicht ganz. Schließlich gab er es auf und wirbelte herum, Geifer auf den Lippen, sein Gesicht verzerrt vor Zorn. «Zwei Scheiß-Monate in Costa Rica», sagte er, «Surfen perfekt. Und dann komm ich zurück, und wo lande ich? In diesem Scheiß .» Er drehte sich um, schlug hart aufs Wasser und schrie dem Pazifik entgegen: « Mach schon, du Schlampe !»
Ein großer Otter schwamm in der Nähe auf dem Rücken, in erschreckend menschenähnlicher Manier. Auf dem Bauch trug er einen Stein, auf den er immer wieder mit einer Miesmuschel einschlug, an der er dann knabberte. Obwohl es zweifellos kalt war und voller Gefahren, schien mir sein Leben für seine Umgebung durchaus eine Empfehlung. Als ich vor Kälte und Erschöpfung zitterte, ritt ich auf einer bereits gebrochenen Welle wieder zurück. Als sie am Felsvorsprung hochspritzte, beugte ich mich zurück und stolperte auf das Riff: mein Gleichgewicht war immer noch aufwogende Wellen eingestellt. Der Niedrigstand der Ebbe hatte bemooste Riffe freigelegt und Tümpel mit Anemonen, und ich schlitterte zwischen den glitschigen, mit schlaffem Seegras behängten Felsen hindurch. Ich setzte mich auf einen Schieferfelsen, um auf Skinny zu warten, und hatte plötzlich so ein merkwürdiges Gefühl, als würde ich so bald nirgendwo anders surfen als hier. Als wir uns anzogen, sagte Skinny so was wie, er hätte lieber hohe Wellen, die ihn forderten, und dass dieses Riff für ihn nur dümpelig und ein formloser Haufen sei. Die meisten Typen, mit denen er surfe, weigerten sich rundweg, hierher zu kommen, behauptete er; er war nur deshalb einverstanden gewesen, weil er fand, es täte mir gut, aus der Stadt rauszukommen. Während er redete, brach weit und breit über dem Wasser der helle Tag an, und das offene Blau des Himmel spiegelte sich in kleinen Wasserlachen wider. Ich habe zu Skinny zwar nichts gesagt, aber ich konnte es nicht fassen: Hier bekam ich ganz Kalifornien geschenkt, am Ende des 20. Jahrhunderts, lebendig und zugänglich, an einer kleinen Stelle neben einem kleinen Highway ohne Hinweisschild.
Die beiden älteren Männer zogen sich rasch und konzentriert um, sie standen jeder auf einer Plastiktüte und hatten einen kleinen Rucksack mit dem Wesentlichen dabei. Mit einem kurzen Nicken in unsere Richtung gingen sie davon, lange bevor Skinny jede einzelne seiner Zehen so weit abgetrocknet hatte, dass wir ihnen folgten konnten. Als wir mit unseren Boards unterm Arm auf dem von der Sprinkleranlage durchweichten Weg zwischen den Feldern zurückgingen, hörte ich das dunkle Rattern des Southern Pacific, der aus San Francisco herunterkam. Aus irgendeinem Grund sah ich uns plötzlich wie aus weiter Entfernung, und mir wurde klar, dass ich hier einen Moment erlebte, von dem ich immer geträumt hatte und den ich unbedingt festhalten wollte; wie oft denkt man, das ist es jetzt!, und fühlt sich hinterher doch enttäuscht und kein bisschen anders. Aber die Surfbretter und Sandwege und Farmen und Züge hatten in mir irgendeine riesengroße, perfekte Saite zum Klingen gebracht und machten mich verrückt vor Sehnsucht, so lebendig zu sein, dass ich irgendwie zu diesem Moment selbst werden könnte.
«He, Mann!», rief ich. «Hast du das gehört?»
«Was denn?»
«Willst du den Zug nicht sehen?»
«Was?»
Hunderte von Möwen stiegen über uns auf, als ich losrannte. Vor den Gleisen versank mein linkes Bein bis zur Wade im Schlamm. Meinem anderen Bein passierte gleich darauf dasselbe, und ich stand da mit beiden Füßen im Matsch, hielt das Board mit der einen Hand, winkte mit der anderen und grinste den Lokführer wie ein Volltrottel an. Er winkte höflich zurück.
Es erforderte ein wenig Arbeit, die Sandalen zu finden und auszugraben – sie sehen immer noch nicht so aus wie vorher –, und während ich dahinschlenderte und meine Zehen in den nassen Socken quatschten, erzählte ich Skinny, wie sehr ich mir wünschte, die Leute würden hier etwas Schmackhafteres als Rosenkohl anbauen. Dann hätte ich mir die Taschen damit voll stopfen können.
Auf einem alten Foto sieht mein Vater mir recht ähnlich – er ist darauf ein paar Jahre jünger, als ich es jetzt bin. Er liegt in seiner Koje an Bord des Flugzeugträgers Oriskany und liest Two Years Before the Mast von Richard Henry Dana. Es ist eines dieser seltenen Bilder, durch die Vater und Sohn einen
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