Surf
was dieses gewisse Etwas einer Welle ausmacht, sucht man nach einem Hinweis auf die «Quelle», auf ein fundamentales Medium der Energieübertragung, das auf die im Wesentlichen energetische Natur der Materie hindeutet. Also rief ich einen guten Freund und Physiker an.
«Unsere Daten sagen, dass wir's geschafft haben», erklärte er, als ich ihn nach dem Experiment für seine Doktorarbeit fragte.
Was geschafft?
«Eine Uhr gebaut, die rückwärts läuft, wenn sich die Zeit im Universum umkehrt.» Er klangt gereizt. «Unsere Daten sagen, wir haben's geschafft.»
Was – die Zeit umgekehrt oder die Uhr gebaut?
«Die Uhr gebaut, aber das Ganze kann nicht stimmen, denn sonst müsste ich den Nobelpreis bekommen.»
Ich sah seine ernsten blauen Augen mit der Hornbrille und die feinen, etwas jungenhaften Gesichtszüge buchstäblich vor mir. Dann wechselte ich das Thema, stellte die große Frage: Was zum Teufel sind eigentlich Wellen?
Er überlegte einen Augenblick – ein beredtes Schweigen in der Leitung zwischen München und Kalifornien sagte dann: «Ob Strahlungs-, Licht- oder Schallwellen, alle sind verlängerte sinusähnliche Schwingungen. Soll ich dir das wirklich erklären? Hol dir einen Stift. Die Frequenz ist die Entfernung zwischen den Wellengipfeln. Der Wellengipfel der Sinus und das Wellental der Kosinus; stell dir die Amplitude als die Wellenhöhe vor, die im Prinzip die senkrechte Entfernung vom Wellental zum Wellengipfel ist. Die Wellenlänge ist die horizontale Distanz vom Wellental bis zur Wellenspitze und die Zeit, die ein Wellenkamm braucht, um eine Wellenlänge zurückzulegen. Wenn du also dort draußen sitzt, bewegt sich zwar eine Welle auf dich zu, das Wasser aber nicht; du bewegst dich also wahrscheinlich in einer Art Kreis, wenn die betreffende Welle unter dir hindurchläuft.»
Aber sie hat doch Energie?
«Sicher. Dasselbe wie bei Schallwellen. Energie ist Energie. Und, äh … ich glaube, ein Kubikzentimeter Wasser hat bei Zimmertemperatur ungefähr vierhundert Joule Energie, was … bedeutet, dass die Energiemenge eines Quantums einer Wasserwelle ungefähr …» – er hielt inne, ich hörte Tippgeräusche –, «null Komma, oh, etwa 33 Nullen 6 Joule beträgt. Aber eine Welle hat jede Menge Quanten. Joule pro Sekunde ist gleich Energie, richtig? Wie die Watt in einer Glühbirne. Folglich haben Wellen Energie.»
Na klar. Ich bin in naturwissenschaftlichen Dingen ein wenig unsicher; mein Freund und Physiker bringt mich bei solchen Gesprächen immer wieder in Verlegenheit, und ich klammere mich an meinen Glauben an die große Vielfalt menschlicher Intelligenz.
«Wie auch immer», sagte er, «du musst ein paar Dinge über das Wassermolekül verstehen – es ist unglaublich hart und will sich unter keinen Umständen beugen oder strecken. Stell dir Wasser also folgendermaßen vor. Nimm deinen Stift.» Er ließ mich eine kleine Skizze zeichnen, ein Zeichen nach dem anderen:
«Und weil die Verbindung der Moleküle wirklich fest ist», sagte er, «stapeln sie sich gern endlos übereinander – das ist so eine Art ausgewachsener Gruppensex für den größten Teil der Weltmeere. Diese Stapel bewegen sich auf zweierlei Art: erstens als Kollektiv und zweitens einzeln. Anders ausgedrückt: die Moleküle können entweder aufeinander prallen oder einfach allein vibrieren.» Er hustete in die Leitung, beklagte sich über das schlechte Wetter in Nordeuropa. «Nehmen wir an, das Meer ist gefroren», sagte er, «steinhart und mit nichts, was als Welle durchgehen würde. Man schlägt mit einem Hammer drauf, und es klirrt ein bisschen, oder? Einige Geräusche werden durch Eis weitergeleitet, im Prinzip die wirklich hohen Frequenzen. Schmilzt das Eis, lockert sich die Bindung der Moleküle wieder. Jetzt, wo sie weiter voneinander entfernt sind, dauert es länger, bis sie aufeinander prallen, was eine niedrigere Klangfrequenz ergibt – das sind die großen, ausgewachsenen Wellen. Das, worauf du surfst», sagte er und änderte plötzlich seinen Tonfall, «ist also eine riesige kollektive Schwingung gestapelter Wassermoleküle … Ist es das, was du wissen wolltest?»
Wahrscheinlich. Und so plauderten wir noch kurz über die North America Wall, die grandiose fünftägige Klettertour, die er im Vormonat am El Capitan im Yosemite-Nationalpark unternommen hatte. Seine Hände müssten noch abheilen, sagte er, er könne noch immer keine richtige Faust ballen. Dann beklagte er noch, dass er zunehmend befürchte,
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