Surf
vielerlei Hinsicht für mich zur primären Obsession: eine 2,80 m hohe Dünung mit einem 9 Sekunden langen Intervall kommt am Strand möglicherweise nur auf schlappe sechzig bis neunzig Zentimeter; eine 2,80-m-Dünung in einem 19-Sekunden-Intervall kann unter Umständen 2,80m hoch bleiben und sehr stark sein. Wenn ich also brav dasaß und las, hörte ich gelegentlich von einem plötzlichen Anstieg der durchschnittlichen Wellenhöhe oder einer Verlängerung der Intervalle – Hinweise auf neue Dünungen und meine Arbeitsleistung sank. Meine Quasi-Freundin fand meinen Surftalk, den sie zum großen Teil am Telefon über sich ergehen lassen musste, allmählich schrecklich langweilig – das Unglück einer Wochenendbeziehung. Für Vögel und Otter konnte sie sich begeistern und legte sogar ein Vogelbestimmungsbuch in ihren Toyota Celica, was ich als eine schöne Geste der Solidarität empfand. Aber Wellen? Die fand sie kategorisch uninteressant, obwohl sie mir zu Weihnachten einen prachtvollen Bildband mit dem Titel The Book of Waves geschenkt hatte. Sie fand Wellen irgendwie leblos. Nicht lebendig. Ungefähr so interessant wie Felsen. Geschlechtsspezifische Interessen? Mag sein.
Die Malerin, die weiter unten in der Straße wohnte, trank gerade ihren abendlichen Scotch auf einer Beton-Bank, als ich vorbeiging; sie war über einen Meter achtzig groß und schlaksig und hatte ein schönes, schmales Gesicht. Obwohl wir uns nie richtig kennen gelernt hatten, lächelten wir uns immer etwas matt zu. Ein verdrießlicher Mann mit großem rotem Vollbart saß wie gewöhnlich auf seiner Bank und las; er hatte nie einen Freund oder eine Freundin dabei, immer nur ein Buch und eine Tüte Walnüsse. Er kam auch jeden Morgen vor Tagesanbruch, um «Zeitung zu lesen und die Fischerboote rausfahren zu sehen», wie er sagte.
Am nächsten Tag stellte ich fest, dass er zwar Zeitung las, sich jedoch immer die einzige Bank aussuchte, die keinen Blick auf die auslaufenden Boote bot. Zwei paddelnde Surfer waren draußen, nahe der Pier, aber im Großen und Ganzen blieben die Schwimmer unweit der Pequod in Strandnähe. Am Südende der Bucht warf eine Sandbank eine kräuselnde Linie auf; die Bretter unterm Arm geklemmt, hielten vier Bodysurfer in kurzärmeligen Anzügen Ausschau, ohne einander anzusehen oder miteinander zu reden. Schließlich trottete einer ans Wasser und hielt dabei sein Sperrholzbrett ohne Finnen seitwärts vor sich. Er drehte sich noch einmal um, brachte sich in Position, dann rannte er los. Er ließ das Brett auf den zentimetertiefen Film aus stehendem Wasser fallen, wand sich vorwärts und rutschte in die schlammig grüne Welle; legte sich in den Turn, duckte sich unter der Brechungskante und sauste Richtung Strand, in einer Röhre. Eine Sekunde des Triumphs, bevor er auf den Sand geworfen wurde. Die anderen drei Jungs sahen gelangweilt weg.
Ein Schoner segelte langsam vorbei, ein Besucher aus der Vergangenheit, umgeben von modernen Segelbooten. Ich versuchte, Juan Cabrillo, George Vancouver oder Sir Francis Drake heraufzubeschwören, wollte mir vorstellen, wer vor mir an einem Strand wie diesem gestanden hatte, aber es klappte nicht. Im Westen sah man den Lighthouse Point, der in die Bucht hineinragte, und den großartigen Surf bei Steamer Lane. Hauptsächlich wegen dieses Blicks pilgerten eine Menge Leute hierher, parkten ihre Pick-ups auf dem Weg zur Arbeit und blieben einen Augenblick lang bei laufendem Motor stehen. Einige fuhren große Ford-Trucks, das waren die kleineren Bauunternehmer, die meisten aber das übliche Surfer-Auto, einen leichten japanischen Pick-up mit Camperaufbau aus Fiberglas; Vierradantrieb hatten nur diejenigen, die an der Baja surften. Sie hielten Ausschau nach der Dünung an der Lane und dem Wind über der Bucht. Manche kamen jeden Tag in der Mittagspause, kurbelten ein Fenster herunter und aßen hier schweigend ihre Sandwiches – der Ozean hielt einen Teil ihres Lebens gefangen und ihr sich immer wieder erneuerndes Ich zusammen.
Die Leuchtturmbake drehte sich sinnlos, und kleine Wellen schwappten an die Pfeiler der Pier unmittelbar nördlich davon, dumpf, ohne brachiale Gewalt. Im Südosten hing der Dreiviertelmond wie eine flache Scheibe am dunstigen Himmel über Sahnas, im Süden schimmerte der Lichterkranz von Monterey und tauchte die andere Seite der Bucht in abendliches Licht. Ein weißes Segelschiff trieb in der ablandigen, erdig duftenden Brise, unweit der Pier lag ein großes
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