Surf
Bräutigam lächelnd. Er war wie geschaffen für das Familienleben, bereits Staatsanwalt und hatte viel Talent zum Kreuzverhör. «Mehr als einmal in der Woche?»
«Sharon», sagte ich zu seiner hübschen und witzigen Braut, «willst du bei der kirchlichen Trauung wirklich das Hochzeitskleid deiner Mutter tragen?» Ich hatte mitbekommen, wie peinlich ihr die drei Meter lange Schleppe war.
«Mehr als einmal am Tag?», wollte der Bräutigam wissen; jetzt war er auf einer heißen Fährte.
Sosehr mich die Braut auch mochte und sie mit meinem Leben einverstanden zu sein schien – so wenig dachte sie daran, mir zur Seite zu springen. «Naja… Hallo, Orin», sprach ich einen der Gäste an, einen ehemaligen Schwimmer aus dem College-Team, der soeben von einem Trainee-Programm bei einer Investmentbank an der Wall Street zurückgekehrt war; ein gut aussehender, freundlicher Typ, dem aber das letzte Quäntchen Kaltschnäuzigkeit fehlte. «Wie war's denn so in New York? Hat auch mal die Sonne geschienen?»
«Du gehst also wirklich mehr als einmal täglich surfen», tönte der Bräutigam und nickte erstaunt. Er legte den dick belegten Hotdog (geröstete Paprika, Honigsenf, gegrillte Zwiebeln) aus der Hand und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab: «Das ist ja unglaublich!»
«Ich finde das toll», sagte Orin, der Schwimmer. «Also, ich würde unheimlich gern …»
«Einen Moment, Orin», unterbrach ihn der Bräutigam. «Ich bin mit diesem Mistkerl noch nicht ganz fertig. Gehst du auch mehr als zweimal täglich surfen?»
Wie gesagt, niemand versteht mich. Surfen ist ein Fulltime-Job, ist es immer gewesen. Bereits 1886 schrieb ein Autor im Hawaiian Annual über hawaiianische Surfer, was einem heute jeder Einheimische sagen kann, dass nämlich «die notwendigen Arbeiten für den Unterhalt der Familie, wie beispielsweise Ackerbau und Fischfang, die Herstellung von Matten und Tapas und ähnliche Pflichten im Haushalt, die von den Männern verlangt werden und der Aufmerksamkeit bedürfen… oft vernachlässigt werden, um diesen Sport ausüben zu können». Und wenn alte hawaiianische Inschriften auf Steinen irgendwelche Schlussfolgerungen zulassen, dann hat dieses schreckliche Verhalten eine lange, bedeutende Tradition. So berichtet der hawaiianische Historiker Kepelino Keauokalani, dass «erfahrene Surfer, die zu ihren höher gelegenen Felder gehen, um sie zu bestellen, auf halbem Weg stehen bleiben … sich umschauen, um zu sehen, wie die Brecher auf den Strand donnern, ihr Arbeitsgerät aus der Hand fallen lassen und nach Hause eilen, ihr Brett holen und wieder aus dem Haus gehen. Alle Gedanken an Arbeit sind wie weggeblasen. Die Ehefrau, die Kinder, die ganze Familie, sie alle mögen hungern, aber dem Hausherrn ist das völlig egal. Ihn interessiert nur sein Sport, er ist seine Nahrung. Den ganzen Tag gibt es nichts als Surfen.» Meine Freundin Susan, die sich immer weniger an mich gebunden fühlte, sah mich sicherlich genauso. In seinem 1847 erschienenen Buch Residence of Twenty-one Years in the Sandwich Islands – «ein Bericht über die Mühe, die es bereitet, die Hawaiianer aus ihrer Erniedrigung und Barbarei herauszuheben und sie von ihren Götzen, ihrem grausamen Aberglauben und ihren ungezügelten Lüsten zu befreien» – erklärt der nordamerikanische Missionar Hiram Bingham den Niedergang des hawaiianischen Wellenreitens mit ähnlichen Worten: «Die Übernahme unserer Bekleidung beeinträchtigt stark ihr Umhertollen in den Wellen, da sie im Wasser nicht so bequem ist wie der einheimische kurze Rock, der zudem weniger schicklich ist, weil sie ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit mühelos ablegen können, um ins Wasser zu springen, zu schwimmen oder ein Rennen auf den Wellenbrettern zu veranstalten.» Die Hawaiianer hatten wahrhaftig im Garten Eden gelebt – doch nachdem sie ihre Blöße bedeckt hatten, entdeckten sie die Scham; nachdem sie ihre Scham entdeckt hatten, hörten sie auf zu surfen.
«Zudem haben diejenigen», schreibt Bingham weiter, «die sich selbst Kleidungsstücke herstellen oder sich Geld dafür verdienen, wie es in den Kulturnationen üblich ist, weniger Zeit für Amüsement.» Wenn also Bekleidung für Zivilisation steht und ehrliche Arbeit der Weg ist, um dies zu erreichen, dann ist die Konsequenz daraus, dass der Surfer nicht mehr dauernd am Strand herumhängt, sondern sich bekleidet und arbeiten geht – zumindest theoretisch. Das ist zwar alles lange her, klingt aber sehr
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