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Surf

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Titel: Surf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Duane
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merkwürdig, keinen Otter, keine Robbe und keinen Seelöwen zu erblicken. Die Delphine waren längst fort, und ich lungerte in der Nahrungskette herum. Wenn ein großer Hai hochkommt, heißt es, sehe man zuerst einen «Fußabdruck» hochsprudelnden Wassers – ungefähr so wie dieses Gebrodel überall um mich herum. Ich spürte meine Blase, als ich mich an den Geruchssinn des Weißen Hais erinnerte, der den Urin von Säugetieren in einer Auflösung von eins zu zehn Millionen ausmachen kann. (Wie oft wohl Pinkeln ein, fatales Ende hat?)
    Meine Gedanken an Haie lenkten meine Augen zurück an Land, wo ein Bestand schiefergrauer Monterey-Pinien von der Klippe aufragte, dicke, windschiefe Stämme mit ein paar breiten Ästen; keine schwankenden Blätter oder unwürdige kleine Zweigchen. Ich vergaß den Tod und sah, wie diese Bäume das Wasser nicht beachteten, das sie bereits doppelt so lange, wie ich schon lebte, nicht beachtet hatten, und fragte mich, wie dieses dunkle, seit Jahrzehnten windgepeitschte Baumgestrüpp mir hier im Wasser jeden Tag einen fast greifbaren Frieden vermitteln konnte, einen Anker würdevoller Gleichmut. Denn das tat es seit kurzer Zeit, in der Art, in der die Ansicht eines Tempels am Fluss einer Stadt einen Einheimischen Jahr für Jahr über die sich ständig verändernde Mixtur von Straßenmüll hinwegsehen lassen kann und sogar über den erbärmliche Geschmack der Geistlichen in Bezug auf die neuen bunten Fenster. Die Art, in der diese Bäume sich nach Südosten lehnten, ohne sichtbaren Anstoß, beschwor jetzt einen ruhigen, genau bemessenen Ablauf der Zeit herauf, so als wollten sie sagen: Du hast gefunden, was du brauchst; immer aufs Neue werden Wellen sich unter diesen Bäumen und über diesem Riff brechen und dir weiterhin all das geben, was du von ihnen erwartest. So wie für andere wohl ein Fluss zum Angeln oder eine Skiloipe, ein Ort also, dessen Geometrie lange genug vor Augen geführt wurde, um für immer im Zentrum seines Vorstellungsvermögens zu stehen. Merkwürdig war auch, dass mich nur mein tägliches Ausschauhalten niemals dazu gebracht hätte, diese kleine Bucht als mein gesetzlich angetrautes Leben anzunehmen; erst dadurch, dass ich mühselig in dem Wind trieb, der diese Äste krümmte, sodass ich einen Strang Seetang fest um meinen Oberschenkel schlingen musste, erst dadurch war es so weit gekommen.
    Ich weiß das, weil ich vor ein paar Tagen an einem dieser seit Wochen fürchterlich verregneten Nachmittage hier heraufkam, um die Küste zu schmecken. Wir hatten kaum eine Brandung gehabt, auf der man hätte surfen können, weil die Stürme direkt über uns lagen. Am besten sind die ein paar hundert Meilen entfernten, denn sie wühlen die Grunddünung auf, ohne die Oberfläche am Surfspot zu stören. Doch an dem Tag fiel der Regen auf stürmisches Wasser, und über den ganzen Strand verteilt lagen Treibholz und Styroporstücke sowie eine grüne Flasche. Als ich den Weg hinabgeschlittert war, sah ich das Kreuz, das jemand im Sand aufgepflanzt hatte, zwei Stück Treibholz, vertäut mit einem Strang Seetang, dem Ozean zugewandt. Beim weiteren Umsehen stellte ich fest, dass jemand insgesamt neun Kreuze entlang des Meeres aufgestellt hatte (in seinem allzu menschlichen Zwang, Ordnung in Entropien zu bringen und eine Entropie von Ordnung zu erschaffen); und es sah so hoffnungsfroh aus, war wie ein zartes, kleines Zeichen Gottes inmitten all dieser grässlichen Zeugnisse. Ich war beeindruckt von dieser Geste, zu der ich nie imstande gewesen wäre, die in mir aber auch eine Nostalgie für das auslöste, wie hier das Leben einst gewesen sein mochte. Ich trieb also in meinem Neoprenanzug mit Reiß- und Klettverschlüssen auf von Fiberglas umschlossenem Polyäthylenschaum, schaute zurück auf den aufgeweichten Strand und stellte mir vor, wie zwischen reetgedeckten Hütten, Haufen aus Vogelknochen und Austernschalen Feuer brannten und vielleicht eine Frau in den Ebbesielen stocherte und einen Korb mit Schalentieren füllte. Nennen wir es den Fluch des Amerikaners, dass er sich diese Welt immer ohne sich selbst vorstellt, aber ich konnte nicht anders. Ich malte mir aus, wie ein paar Jungen einem gestrandeten Wal Fleisch abschnitten, während in der Nähe ein Grizzly herumtappte und ein Kondor mit über zwei Meter Flügelspannweite darüber kreiste; wie Männer im Morast Enten jagten, während andere in einer Mulde Muscheln und Eicheln backten. Vielleicht trieb ein Mann (vielleicht ein

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