Susan Andersen
extrem vorsichtig war. Von zu Hause aus hatte sie sich die schnellste Busverbindung herausgesucht. Und jetzt sah sie sich ständig um wie eine durchgeknallte Fruchtfliege mit ihren ungefähr achthundert Augen im Kopf.
Was für eine Wonne, wieder einmal frische Luft zu schnappen. Wobei sie zugeben musste, dass sie sich zwar zum ersten Mal seit einer Woche wieder frei fühlte, zugleich aber auch furchtbar schutzlos.
Zum Beispiel dieser schwarze Escalade da drüben. Mann, einen Moment war sie echt erschrocken. Er sah genauso aus wie der, mit dem Arturo an dem Tag in Fremont mit ungefähr hundert Meilen die Stunde auf sie und Ms. C. zugeschossen war. Sie duckte sich in den Schatten eines riesigen alten Baums, während sie den Wagen checkte. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, die Wohnung zu verlassen.
Doch dann sah sie, dass niemand in dem SUV oder sonst wo auf sie lauerte, und die Anspannung wich aus ihren Schultern. Himmel, Mädchen, reiß dich mal zusammen. Reiche Leute müssen keine Gangster sein, um einen Caddy zu fahren.
Und die Leute hier waren auf jeden Fall reich. Noch nie zuvor hatte sie so viele große Häuser gesehen. Und diese Aussicht! Hier musste mindestens die Hälfte aller typischen Seattle-Fotos geschossen worden sein. Denn mit dem Rücken zum Baumstamm konnte sie die Space Needle, Downtown und den Mount Rainier dahinter sehen. Wie irre war das denn?
Aber welches der Häuser war die Wolcott-Villa? Cory betrachtete alle Dächer, bis sie ziemlich sicher war, das Gebäude zu erkennen, das sie auf einem Foto im Internet gefunden hatte. Mit einem letzten Blick auf den Escalade, um sicherzugehen, dass er wirklich leer war, flitzte sie die Straße hinunter und in die Einfahrt. Erleichtert, von der Straße weg zu sein, atmete sie auf, lief die flachen Stufen hinauf und klopfte an die Tür.
Als niemand öffnete, schluckte sie schwer. Diese Möglichkeit hatte sie nicht in Betracht gezogen – dass Ms. C. beschlossen haben könnte, heute doch nicht zu kommen. Oder später. Vielleicht war sie auch schon wieder gegangen.
Mit einem Mal ganz verzweifelt, hämmerte Cory gegen die Tür. Oh, Gott, sie hätte die Wohnung nicht verlassen sollen. Ihre Mom und Detective de Sanges hatten recht. Sie war hier draußen nicht sicher.
Plötzlich öffnete sich die Tür, und Ms. C. stand vor ihr, die Lippen ungläubig geöffnet.
„Was zum ...“ Sie packte Corys Arm mit einer farbbeklecksten Hand und zerrte sie hinein. Dann beugte sie sich hinaus und sah sich auf der Straße um, bevor sie die Tür schloss. Mit zwei großen Schritten lief sie zu einer Tastatur und tippte einige Nummern ein, woraufhin das rote Licht zu blinken aufhörte.
Dann wandte sie sich an Cory. „Was hast du hier zu suchen?“
„Ich möchte Ihnen beim Streichen helfen.“ Sie schenkte Ms. C. ihr bestes Unschuldsstrahlen.
Doch Ms. C. kaufte es ihr nicht ab. Mit ihren zusammengekniffenen Augen wirkte sie ganz und gar nicht erfreut. „Welchen Teil von ‚Sie müssen in der Wohnung bleiben, dürfen sich nicht blicken lassen, um sicher zu sein‘ haben Sie nicht kapiert?“
„Ich bin fast verrückt geworden! Sie wissen ja nicht, wie das ist. Ich kann nicht in die Schule gehen, die ich – okay – sowieso nicht so toll finde, aber ich will auf keinen Fall die Klasse wiederholen. Und Mom ist zwar die ersten Tage zu Hause geblieben, aber sie muss arbeiten, damit wir ein Dach überm Kopf haben. Und das bedeutet, dass ich den ganzen Tag und die halbe Nacht allein bin. Manchmal höre ich ziemlich schaurige Geräusche, und die meisten Nachbarn sind nicht gerade Leute, mit denen man gern etwas zu tun haben will, verstehen Sie? Von Nina mal abgesehen, die mag ich, aber meine Mom will nicht, dass ich bei ihr bin. Davon abgesehen geht sie in die Abendschule und lässt Kai dann bei der Tagesmutter, also braucht sie mich nicht mehr zum Babysitten.“
„Also riskierst du dein Leben, weil dir langweilig ist?“
„Ich bin einsam!“
„Tut mir leid, Cory, bestimmt ist die Situation nicht leicht für dich. Aber Detective de Sanges setzt seine Karriere aufs Spiel, und du kannst nicht einfach ...“
„Natürlich ist er Ihnen wichtiger als ich. Hey, Hauptsache wir machen Detective de Sanges nicht das Leben schwer!“ Sie spürte, wie sie die Beherrschung verlor, aber sie war so verdammt einsam – und enttäuscht. Sie hatte gedacht, Ms. C. würde sie verstehen, weil sie immer so warmherzig und freundlich war und einem das Gefühl gab, willkommen
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