Susannah Bd.3 - Auch Engel sind gefährlich
Schwester hätte nur das gekriegt, was sie verdient hat, weil sie eigentlich überhaupt nicht auf der Party hätte sein dürfen. Sie sei ja nicht eingeladen gewesen. Auf solchen Partys hätten nur Leute mit einem gewissen Beliebtheitsgrad was zu suchen. Kannst du dir so was vorstellen?«
Michael überholte vorsichtig einen Lieferwagen. »Ja«, sagte er leise. »Das kann ich mir sehr gut vorstellen.«
»Ich meine, hallo? Leute mit einem gewissen Beliebtheitsgrad? Was ist das denn für eine Art zu reden?« Ich
schüttelte den Kopf. »Und wer legt überhaupt fest, wer beliebt ist und wer nicht? Das würde ich zu gern mal wissen. Wieso war deine Schwester denn nicht beliebt? Weil sie keine Sportskanone war oder wie? Weil sie keine Cheerleaderin war? Weil sie nicht die richtigen Klamotten trug? Oder was?«
»Wegen all dem«, sagte Michael so leise wie zuvor.
»Aber das ist doch alles total unwichtig!«, redete ich weiter. »Ich meine, zählt es nichts, wenn man mitfühlend und intelligent ist? Aber nein, hier zählt nur, dass man mit den richtigen Leuten befreundet ist.«
»Tja, so ist das leider sehr oft«, sagte Michael.
»Ich finde es jedenfalls bescheuert«, ereiferte ich mich. »Und das hab ich Brad auch gesagt. Ich hab ihn angekeift: ›Und du stehst nur rum und guckst zu, wie das Mädchen fast ertrinkt, nur weil sie nicht eingeladen war?‹ Hat er natürlich alles abgestritten, aber du und ich, wir kennen die Wahrheit.«
»Ja«, sagte Michael. Wir fuhren mittlerweile am Big Sur entlang. Die Straße wurde immer schmaler und draußen wurde es immer dunkler. »Ja, ich kenne die Wahrheit. Wäre meine Schwester … zum Beispiel Kelly Prescott gewesen, hätte sich bestimmt jemand gefunden, der sie auf der Stelle aus dem Wasser zieht. Da hätte keiner lachend zugesehen, wie sie untergeht.«
Am Himmel war kein Mond zu sehen, und so war es schwer, Michaels Gesichtsausdruck zu erkennen. Nur die Anzeigen des Armaturenbretts erleuchteten das Dunkel etwas. In dem schwachen Schimmer wirkte
Michael krank und das lag nicht nur am grünlichen Schein.
»War es wirklich so?«, fragte ich. »Haben die wirklich drum herum gestanden und gelacht, während sie untergegangen ist?«
Er nickte. »Zumindest haben das die Rettungssanitäter der Polizei erzählt. Die dachten wohl alle, sie spielt die Ertrinkende nur.« Er lachte bitter. »Meine Schwester … Genau das hat sie immer gewollt. Beliebt sein. Eine von denen sein. Und die standen nur da und schauten zu. Sie haben gelacht, während sie ertrunken ist.«
»Es heißt, sie wären alle ziemlich betrunken gewesen«, sagte ich. Auch deine Schwester , fügte ich in Gedanken hinzu, sprach es allerdings nicht laut aus.
»Das ist keine Entschuldigung«, entgegnete Michael. »Aber natürlich hat keiner was getan. Die Eltern des Mädchens, das die Party veranstaltet hat, mussten eine Geldstrafe bezahlen, das war’s dann auch. Meine Schwester wacht vielleicht nie mehr aus dem Koma auf, aber die kriegen nur eine Geldstrafe.«
Mittlerweile waren wir an der letzten Kurve vor dem Aussichtspunkt angekommen. Michael hupte, bevor er um die Ecke fuhr, aber es kam uns niemand entgegen. Sekunden später bog er auf den Parkplatz. Er machte den Motor nicht aus, sondern saß bloß da und starrte auf das pechschwarze Meer und den dunklen Himmel hinaus.
Ich war dann diejenige, die die Zündung ausdrehte. Als die Armaturenbeleuchtung ausging, hüllten uns in absolute Dunkelheit ein.
»So«, sagte ich in die Totenstille hinein. Auf der Straße fuhr kein Auto vorbei. Wenn ich das Fenster öffnete, würde das Rauschen des Windes und der Wellen hereinströmen. Aber ich öffnete es nicht, sondern saß nur stumm auf meinem Sitz.
Mit der Zeit gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit, und ich konnte einiges erkennen, sogar den Horizont, wo der schwarze Himmel auf den noch schwärzeren Ozean traf.
Michael wandte mir den Kopf zu. »Carrie Whitman. Das Mädchen, das die Party veranstaltet hat, war Carrie Whitman.«
Ich nickte, ohne den Blick vom Horizont abzuwenden. »Ich weiß.«
»Carrie Whitman«, wiederholte er. »Carrie Whitman saß auch in dem Wagen, der letzten Samstag die Klippen runtergestürzt ist.«
»Du meinst den Wagen, den du letzten Samstag von der Straße abgedrängt hast«, sagte ich leise.
Michael rührte sich keinen Millimeter. Ich sah ihn an, konnte aber seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen.
Die Resignation in seiner Stimme konnte ich dagegen sehr wohl hören.
»Du weißt
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