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Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allmen und die Libellen
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Feierabendverkehr,
der durch den frühen Schneefall an einigen Stellen zusammengebrochen war. Viele
Autofahrer fuhren noch mit Sommerreifen, immer wieder staute sich der Verkehr
hinter liegengebliebenen Autos und Bagatellunfällen.
    Herrn Arnolds Lieblingskassette ging Allmen langsam auf
die Nerven. Aber es war ein altes Übereinkommen zwischen ihnen, dass sie beide
Glenn Miller mochten. Daran wollte Allmen nicht rütteln. Daher saß er eben
stumm im Fond, betrachtete das grauweiße Chaos auf der Straße und hing seinen
Gedanken nach.
    Terry Werenbusch! War es möglich, dass er Jack Tanner auf
dem Gewissen hatte? Und ihn selbst um ein Haar auch? Gewissen? Wenn es zutraf,
besaß Terry Werenbusch ganz offensichtlich keines.
    Allmen hatte ihn seit dem Charterhouse nicht mehr getroffen.
Er hatte ihn einmal auf einem Foto in einem People-Magazin gesehen. Aber er
hatte ihn nur anhand der Bildlegende erkannt, denn der erwachsene Terry hatte
sich Schnurrbart und Kinnbart wachsen lassen, um die schmalen Lippen und das
fliehende Kinn zu verbergen. Er hatte ihn auch einmal in einem
Medium-Goal-Polo-Turnier spielen sehen als draufgängerischen, aber uneleganten
Spieler mit Handicap plus eins.
    Jetzt fiel ihm auch wieder ein, weshalb Terry von der
Schule geflogen war. Er hatte an einem kalten Winterabend einen Mitschüler im
Materialraum des Rugbyplatzes eingesperrt. Die ganze Schule, die Polizei und
das halbe Nachbardorf hatten nach ihm gesucht, und Terry hatte sich mit Eifer
an der Suche beteiligt. Erst in den frühen Morgenstunden hatte jemand den halb
erfrorenen Jungen gefunden.
    Terry, der an diesem Tag der Materialverantwortliche
gewesen war, hatte hartnäckig geleugnet, dass er es mit Absicht getan hatte.
Aber sein Opfer konnte die Schulleitung vom Gegenteil überzeugen. Terry hatte
ihm dummerweise ein paar Tage zuvor einen Brief geschrieben, in dem er drohte:
»Ich werd dich killen, du dreckiges Schwein!«
    Es war fast sieben Uhr, als Herr Arnold seinen Fahrgast
mit dem Schirm durchs Schneegestöber zum Hoteleingang geleitete und ihn auf halbem
Weg dem Türsteher übergab, der ihnen mit seinem Schirm entgegen gekommen war.
     
    Carlos trug an diesem Abend einen von Don Johns kaum
getragenen abgelegten Anzügen. Allmen überließ ihm ab und zu einen, obwohl
Carlos einen Kopf kleiner war. Aber er kannte einen kolumbianischen
Asylbewerber, einen gelernten Schneider, der als Büroreiniger arbeitete und
sich mit Änderungen und Reparaturen ein Zubrot verdiente. Dieser trennte
Allmens Anzüge auf und nähte sie wieder so zusammen, als wären sie eigens für
Carlos gemacht.
    Allmen hatte ihn angerufen und zum Abendessen im
Confederation eingeladen. Das war noch nie vorgekommen, und Carlos hatte auch
entsprechend überrascht reagiert und allerlei Ausflüchte gesucht. Aber Allmen
hatte darauf bestanden. Es sei wichtig, hatte er ihm erklärt, es gehe um
besagten Kampf.
    Man sah Carlos an, dass er sich in seiner Haut nicht wohl
fühlte, als er vom Chef de Service an Allmens Tisch geführt wurde.
    Das Restaurant des Confederation hieß Helvetique und war
spezialisiert auf bürgerliche Schweizer Küche aus allen Landesteilen. Es war
ein eleganter, rundum ausgetäfelter Saal voller Nischen und Trennwände,
dekoriert mit Stichen von schweizerischen Trachtenfiguren. Die
Leinentischwäsche war gestärkt, und alle Tische waren verschwenderisch mit
Porzellan, Silber und Kristall gedeckt. Auch Leute mit mehr Restauranterfahrung
als Carlos hätte diese Umgebung ein wenig einschüchtern können.
    Er setzte sich Allmen gegenüber und begann die Speisekarte
zu studieren. Nach kurzer Zeit legte er sie beiseite.
    »Schon gewählt?«, fragte Allmen.
    »Ich nehme, was Sie nehmen, Don John.«
    Als der Kellner auch ihm aus der Flasche Dezaley
einschenken wollte, die in einem Eiskübel auf dem Beistelltisch stand, lehnte
er ab. Carlos trank nie Alkohol. Sein Vater war daran gestorben, als Carlos
fünf und das jüngste der sechs Geschwister zwei Jahre alt war. Im Straßengraben
ertrunken, als er dort besoffen schlief und nichts von dem schweren Regen
mitbekam. Eines der wenigen persönlichen Details, die er Allmen einmal
anvertraut hatte.
    Angesichts des frühen Wintereinbruchs bestellte Allmen für
sie beide Emmentaler Kartoffelsuppe, Berner Platte und zum Dessert Waadtländer
Creme au raisine.
    Allmen legte Carlos rückhaltlos die ganze Geschichte der
Libellenschalen offen. Danach besprachen sie den Kampfplan.
    Sie waren längst die letzten Gäste,

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