Suter, Martin
ja
einen Termin mit Ihrem Sohn.« Die Pflegerin stand auf.
Allmen auch. »Ich wollte wirklich nur schnell...«
Er hielt dem blinden Mann die Hand entgegen, die Pflegerin
nahm den Unterarm des Patienten und half ihm, sie zu finden.
Er überraschte Allmen mit einem überaus kräftigen
Händedruck.
»Auf Wiedersehen, und alles Gute«, wünschte Allmen.
»Ja, ja«, antwortete Werenbusch. Beim Hinausgehen hörte Allmen
ihn murmeln: »Schade.«
Carlos saß wie zuvor auf seinem Stuhl, den Pilotenkoffer
auf den Knien. Jetzt stand er auf, und als die Pflegerin vorausging, bedachte
er Allmen mit einem winzigen Nicken.
Sie wurden wieder in den Wartesalon geführt.
»Terry hat angerufen. Ein Missverständnis. Er hat uns im
Büro erwartet. Aber er wird gleich hier sein, Frau Hadorn.«
Und richtig: In diesem Moment hörte man Schritte auf dem
Parkett. Kurz darauf betrat Terry den Raum.
Der Mann wäre Allmen auch dann unsympathisch gewesen,
wenn er nicht gewusst hätte, dass er vor zwei Tagen versucht hatte, ihn zu
erschießen. Er spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten wie einem Hund
kurz vor dem Revierkampf.
Terry trug noch immer seinen Gessler-Bart, aber er war
jetzt mit weißen Strähnen durchsetzt. Sein hageres Gesicht war faltig geworden,
die Augen in die Höhlen zurückgetreten.
Er kam mit ausgestreckter Hand und großen Schritten auf Allmen
zu, stockte, als er Carlos bemerkte, ging weiter und ergriff Allmens Hand.
Werenbuschs Hand war feucht.
»Long time no see«, stieß er aus. Dann, mit einem
Blick auf den Tisch: »Hat man dir - euch - nichts angeboten?«
»Frau Gerber ist beim Einkaufen«, erklärte die Pflegerin.
»Natürlich«, erklärte Terry, »Frau, ahm...«
»Hadorn«, half die Pflegerin.
»Frau Hadorn ist die Pflegerin meines Vaters. Nicht ihr
Job, das Anbieten.«
Erst nachdem sie die drei allein gelassen hatte, gab Terry
auch Carlos flüchtig die Hand.
»Carlos de Leon, mein Assistent.«
Terry schloss die Tür und setzte sich an den
Schiefertisch. »Bitte.« Er deutete auf zwei Stühle vis-á-vis. Sie setzten sich,
und einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen.
Wenn die Blinzelfrequenz ein Maßstab für die Nervosität
eines Menschen ist, dann war Terry Werenbusch sehr nervös. Auf seinem
Nasenrücken hatten sich kleine Schweißperlen gebildet. Beides verlieh Allmen
noch ein bisschen mehr Entschlossenheit, als er ohnehin schon besaß.
Er gab Carlos ein Zeichen. Dieser öffnete seinen
Pilotenkoffer, entnahm ihm ein rosarotes Archivmäppchen aus dünnem Karton und
schob es über den Tisch.
Allmen hielt die Hand darauf. »Eines muss ich
vorausschicken: Diese Fotos sind auch bei meinem Anwalt hinterlegt, zusammen
mit einem genauen Protokoll über deine Rolle bei ihrem Raub und darüber, was du
unternommen hast, um die neuen Mitwisser zum Schweigen zu bringen. Plus eine beeidete
Aussage meiner eigenen Rolle in der Angelegenheit. Er weiß, wo wir uns jetzt
befinden, und er hat Anweisungen, die ganzen Unterlagen der Polizei und der
Presse zu übergeben, falls ich mich bis morgen nicht persönlich und gesund bei
ihm zurückmelde.«
Jetzt gab er das Mäppchen frei.
»Muss er dabeisein?«, fragte Terry.
»Carlos ist mein persönlicher Assistent«, antwortete Allmen
nur.
Werenbusch öffnete das Mäppchen. Es enthielt die Fotos,
die Carlos von den Libellenschalen gemacht hatte. Er sah sie langsam durch und
blickte dabei mehrmals von den Fotos zu Allmen und wieder auf die Fotos. Die
Blätter zitterten ganz leicht in seiner Hand.
»Da fehlt eine«, bemerkte er schließlich.
»Klaus Hirt hat sie zurückgekauft.«
Terry nickte und sah Allmen an. Er sagte nichts. Wartete.
»Ich könnte damit zur Polizei gehen und die Belohnung
kassieren.«
Werenbusch zog die Augenbrauen hoch. »Zur Polizei? Mit
etwas, das du geklaut hast?«
»Ich habe es nicht geklaut. Ich habe die Stücke zufällig
bei Hirt entdeckt, erkannt und sichergestellt.«
»Warum tust du es nicht?«
»Vielleicht tue ich es ja. Das heißt, falls wir uns über
meinen Vorschlag nicht einig werden.«
»Schieß los.« Terry lehnte sich zurück. Es sollte
entspannt wirken, tat es aber nicht.
»Ganz einfach: Ich gebe dir die Schalen zurück, und du
bezahlst mir die Belohnung, die mir dadurch entgeht, aus deiner Tasche.«
Allmen konnte Werenbusch ansehen, wie angestrengt er den
Vorschlag prüfte.
»Und was habe ich davon?«
»Du kannst die Beweisstücke verschwinden lassen oder
vernichten.« Allmen machte eine wirkungsvolle
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