Sweet about me
sei mitten in der Stadt, aber ruhig gelegen.
» Parterre, du brauchst keine Treppen zu steigen, nicht unwichtig in deinem Alter«, sagte Betty.
» Haha«.
» Hundertdreißig Quadratmeter«, fuhr Betty fort, » mit großem Balkon, das Bad ein Traum. Ich hab Fotos davon gesehen! Und als Zugabe«, rief sie, als müsste ich noch überredet werden, » im Wohnzimmer eine Musikbox! Mit seltenen Platten drin! Die geht nicht mit nach Frankreich, die bleibt da!«
Betty stieß zum ersten Mal seit langer Zeit meine Hand nicht weg, als ich vorsichtig ihre sommerbraunen Beine streichelte.
» Wenn wir erst mal umgezogen sind«, sagte sie leise, wie zu sich selbst, » wird alles besser, bestimmt.«
Sie parkte in der Nähe einer Bushaltestelle. Ein angerostetes Schild wies auf ein Kinderheim hin, sonst gab es zu beiden Seiten der Straße nichts zu sehen als Wald. An jedem Arbeitstag fuhr Betty hier vorbei.
» Das ist aber nicht mitten in der Stadt«, sagte ich und hörte auf, Betty zu streicheln. » Wolltest du mir nicht diese Wohnung zeigen?«
Betty zündete sich eine Zigarette an.
» Abwarten!«, sagte sie aufgeregt.
Ich kratzte mich am Hinterkopf und am linken Unterarm, schaltete das Radio ein und wieder aus.
» Der Bus hat immer etwas Verspätung«, sagte Betty und inhalierte tief.
Ein paar Sekunden lang dachte ich an eine Falle. Ich erinnerte mich an einen Film, in dem eine Frau ihren Mann in den Wald lockt, unter dem Vorwand, es da mit ihm treiben zu wollen. Aber im Gebüsch wartet schon der Geliebte der Frau mit einer Holzfälleraxt.
Eine Fliege flog durchs offene Seitenfenster herein, ich schlug nach ihr, traf aber bloß mein Knie. Ein Bus kam.
» Jetzt pass auf!«, sagte Betty heiser.
Zehn, zwölf Kinder und Jugendliche stiegen aus. Die jüngeren trugen ihre Schultasche auf dem Rücken, die älteren hielten sie lässig unter dem Arm.
» Da, siehst du!«, rief Betty triumphierend und ohne ihre Tränen wegzuwischen. Das Mädchen, auf das sie zeigte, war anscheinend so alt, wie Maya jetzt sein würde. Es hatte Mayas lange kastanienbraune Haare, ihre zierliche Nase, fast ihre Augen, beinahe ihren Mund, soweit ich das aus der Entfernung beurteilen konnte. Und sie bewegte sich ganz wie Maya.
Ein Herzinfarkt wäre angemessen gewesen, aber ich kriegte bloß einen ordinären Schluckauf. Meine Augen brannten. Gleichzeitig dachte ich an eine Reise ans Meer, an Henk und seine furchtbar schöne Hippiemusik, an eine Tochter beim Muschelsuchen und Flirten mit den Strandboys. Maya war wiederauferstanden. Ich hatte sie doch nicht umgebracht.
Da taumelte das Mädchen und fiel hin. Eine Kurzhaarige, die schadenfroh lachte, hatte der neuen Maya ein Bein gestellt. Betty sprang aus dem Wagen, ich folgte ihr, geschüttelt von meinem Schluckauf. Beim Aufreißen der Tür hatte ich nicht auf einen Radfahrer geachtet und diesen fast zu Fall gebracht. Der Radfahrer spuckte auf die Windschutzscheibe unseres Wagens und trat gegen das rot lackierte Blech. Ich schluckte heftig auf, da musste der Idiot lachen.
Betty hatte inzwischen der neuen Maya beim Aufstehen geholfen. Betty strich ihr übers Haar und über die Wangen, Maya sträubte sich leicht. Ich hob ihre Schultasche auf und reichte sie meinem Mädchen. Die mit den kurzen Haaren beobachtete uns spöttisch. Ihre Nase und die Lippen waren gepierct. Sie kaute demonstrativ Kaugummi und ahmte meinen Schluckauf nach.
Frau Breuers Freundlichkeit hielt sich in Grenzen. Sie gab uns das Gefühl zu stören, sie vom Aktenstudium abzuhalten, doch dann betätigte sie, vielleicht zu ihrer eigenen Überraschung, eine gelbe Espressomaschine.
» Lange dunkelbraune Haare? Ihre Beschreibung könnte auf Michelle passen«, sagte sie.
Sozialpädagoginnen hatte ich mir immer mit Nickelbrille, violettem Schal und Neigung zu Damenbart vorgestellt. Frau Breuer trug einen Minirock. Er stand ihr verteufelt gut.
» Aber, verzeihen Sie«, sagte sie jetzt mit erhobener Stimme, » wir sind kein Tierheim, wo man sich sein Hündchen oder Kätzchen aussucht, das man dann mit nach Hause nimmt.«
Die Espressomaschine fauchte. An den Wänden Dienstpläne, ein Plakat von einer Henri-Matisse-Ausstellung, ein schwarz-gelber Fußballwimpel und ein Mannschaftsfoto von Alemannia Aachen.
» Und überhaupt – wie kommen Sie ausgerechnet auf dieses Mädchen? Sie spionieren unseren Kindern doch nicht nach?« Frau Breuer trommelte mit den Fingern auf einen blassroten Aktenordner.
Betty schniefte ihre Wut hoch. » Wir haben
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